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Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit

Titel: Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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das an der nordöstlichsten
     Spitze von Fincayra lebte. Um dorthin zu kommen, mussten wir zwar keine schneebedeckten Pässe erklimmen, aber die ganze Breite
     der verdorrten Ebenen durchqueren. Das allein würde mehrere Tage dauern. Dann kam die schwierige Aufgabe, einen Weg über die
     steilen Felsen der Adlerschlucht zu finden, ganz zu schweigen von den nördlichen Ausläufern der dunklen Hügel. Ich wusste,
     dass überall Gefahren lauerten, aber am meisten beunruhigte mich der Gedanke, die dunklen Hügel zu überqueren.
    Dort standen wir jeden Tag im Morgengrauen auf, wenn die ersten Tagesvögel und die letzten Abendfrösche gemeinsam im Chor
     sangen. Nur gelegentlich hielten wir an und versorgten uns mit Beeren oder Wurzeln – und einmal, dank Rhias Kenntnis der summenden
     Bienensprache, aßen wir ein Stück Honigwabe, von dem süßer Sirup tropfte. Rhia wusste auch, wo wir Wasser fanden, und führte
     uns zu verborgenen Quellen und stillen Teichen. Es war, als könnte sie die Geheimnisse der Landschaft so leicht entschlüsseln
     wie meine eigenen. Der Mond gab uns genug Licht und so wanderten wir in seinem Schein weiter über die großen Ebenen. Doch
     der Mond nahm ab, genau wie unsere Zeit.
    Schließlich erreichten wir nach drei langen Tagen den Rand der Adlerschlucht. Wir setzten uns auf einen Fels und schauten
     über die breiten roten, ockergelben, kastanienbraunen und rosa Streifen an Klippen und Vorsprüngen. Glänzend weiße Felsspitzen
     ragten aus der gegenüberliegendenWand. Weit unten schlängelte sich ein flacher Fluss am Fuß der Klippen entlang.
    So müde ich auch war, spürte ich doch neue Kraft bei der Erinnerung an den aufrüttelnden Schrei des Cañonadlers, der den Beginn
     des großen Rats von Fincayra angezeigt hatte. Wenn ich nur fliegen könnte wie ein Adler! Dann könnte ich so schnell wie der
     Wind über diese farbenprächtige Schlucht segeln, genau wie vor Ewigkeiten, so kam es mir vor, im Gefieder von Verdruss.
    Doch ich war weder Adler noch Falke. Wie Rhia und Bumbelwy würde ich zu Fuß in die Schlucht hinuntersteigen und auf der anderen
     Seite einen Weg hinauf suchen müssen. Mit meinem zweiten Gesicht durchforschte ich die Klippen nach einem Übergang. Wir waren
     wenigstens so weit nördlich, dass die Felswände nicht ganz unpassierbar waren. Weiter im Süden stiegen sie aus einem gähnenden
     Abgrund, der genau die Mitte der dunklen Hügel durchschnitt.
    Rhia, die von uns dreien am sichersten auf den Beinen war, ging voran. Bald entdeckte sie eine Reihe schmaler Felssimse, die
     quer über die Klippenwände liefen. Wir folgten jedem Sims, bis wir eine Stelle fanden, wo wir auf den nächsttieferen springen
     konnten, und stiegen so allmählich in die Schlucht hinunter. Manchmal rutschten wir auf dem Rücken, manchmal kletterten wir
     über brüchige Vorsprünge. Schließlich erreichten wir schweißnass den Cañonboden.
    Der Fluss war zwar schlammig, aber viel kühler als wir. Bumbelwy, der unter seinem dicken Umhang fast verschmachtete, sprang
     sofort hinein. Rhia und ich folgten, wir knieten uns auf die runden Steine am Flussgrund,tauchten Kopf und Arme ins Wasser und spritzten uns nass. Einmal glaubte ich den fernen Schrei eines Adlers über uns auf den
     Klippen zu hören.
    Endlich fühlten wir uns erfrischt und begannen den anstrengenden Aufstieg. Bald musste ich beide Hände gebrauchen und steckte
     meinen Stock in den Gürtel. Je steiler die Wand wurde, umso mehr murrte Bumbelwy. Doch er bemühte sich mitzuhalten und kletterte
     direkt unter Rhia, weil er dort, wo gerade ihre Füße gestanden hatten, Halt für seine Hände fand.
    Als wir einen besonders steilen Vorsprung erklommen, schmerzten mir die Schultern vor Anstrengung. Ich lehnte mich so weit
     zurück, wie ich es wagte, ohne den Halt zu verlieren, und hoffte den Gipfel der Wand zu sehen. Doch über mir ragten nur weitere
     kastanien- und ockerfarben geschichtete Klippen. Ein Blick nach unten zeigte mir den schlammigen Fluss, der nicht mehr als
     ein dünnes Rinnsal auf dem Cañonboden zu sein schien. Ich schauderte und klammerte mich fester an. Denn ich hatte zwar nicht
     viel Lust, weiterzusteigen, aber so weit hinunterstürzen wollte ich noch weniger.
    Rhia, die links von mir kletterte, rief plötzlich: »Schau! Ein Sharr. Auf dem rosa Felsen dort!«
    Vorsichtig, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, drehte ich mich um und sah in der Sonne ein hellbraunes Tier liegen,
     das einer jungen Katze ähnelte.

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