Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
aufbauen? Das klingt wahrscheinlich! So wahrscheinlich
wie dass ich
Estonahenj
nehme, Stein um Stein, und es übers Meer nach Gwynedd bringe.«
Urneldas Augen funkelten seltsam. »Oh, es sein prophezeit, dass du auch das tun wirst. Nicht nach Gwynedd, sondern in ein
Nachbarland namens Logres oder Gramarye, wie manche sagen. Aber diese Prophezeiung sein sogar noch unwahrscheinlicher als
die andere.«
»Genug.« Ich blies auf die Blasen in meiner Handfläche, dann griff ich wieder nach dem Hammer. »Jetzt muss ich wieder an meine
eigentliche Arbeit gehen. Einen steinernen Käfig meißeln, wie du es mir befohlen hast.«
»Das sein eine Lüge.«
Ich blieb mit erhobenem Hammer wie angewurzelt stehen. »Eine Lüge? Warum?«
Schatten hüpften um den Raum, als ihre Ohrringe leise klimperten. »Ich habe dir einen Befehl gegeben, Merlin, aber das sein
nicht mein Befehl.«
»Du hast mir diesen Stein gegeben.«
»Das sein wahr.«
»Du hast mir gesagt, ich soll diese Leuchtfliege vor Schaden bewahren.«
»Das sein wahr.«
»Und das bedeutet, etwas Stärkeres als diese Kristalltasse dort zu bauen.«
»Das sein deine Entscheidung. Nicht meine.«
Langsam, zögernd ließ ich den Hammer sinken. Ichlegte ihn neben den Meißel und ging näher zu dem Kristall. Das Geschöpf darin zitterte wie eine winzige Flamme.
»Darf ich dir eine Frage stellen, Urnalda? Über die Leuchtfliege?«
»Frag.«
Ich betrachtete das schwankende Licht im Kristall. »Du hast gesagt, sie sei eines der seltensten Geschöpfe auf Fincayra. Wie
. . . überlebt sie? Wie schützt sie sich?«
Auf Urnaldas Gesicht, von den Fackeln beleuchtet, zeigte sich die Andeutung eines schiefen Grinsens. »Sie sein geschützt,
wenn sie im hellen Sonnenlicht umherstreift, wo sie nicht gesehen werden kann. Oder wenn sie bei Nacht dort tanzt, wo Mondstrahlen
aufs Wasser treffen.«
»Mit anderen Worten . . . wenn sie frei ist.«
Die Muschelohrringe klimperten sanft, aber Urnalda sagte nichts.
Ich griff nach der Kristalltasse. Ich spreizte die Finger über die leuchtende Oberfläche und spürte die Wärme des Geschöpfs,
das darin gefangen war. Mit einer schnellen Bewegung drehte ich die Tasse um.
Ein schimmernder Lichtfleck, nicht größer als ein Apfelkern, schwebte in den Höhlensaal. Ich hörte nur ein schwaches Summen,
als er an meinem Kopf vorbeiflog. Die Leuchtfliege stieg rasch zur Decke, huschte in den Lufttunnel und war verschwunden.
Urnalda klopfte mit der Faust auf die Armlehne ihres Throns. Die beiden Zwerge am Eingang senkten sofort die Speere und zielten
auf mich. Wieder klopfte sie. »Sag mir, warum du das getan hast.«
Ich holte langsam Luft. »Nun, weil auch ein Steinkäfig allmählich zerfällt.
Am besten schützt man etwas, indem man ihm die Freiheit gibt.
«
In diesem Moment brach eine blaue Flamme aus meinem Stock. Der Zwerg, der darüber stand, schrie auf und machte einen Luftsprung
so hoch wie er selbst. Noch bevor er auf den Boden fiel, konnte ich das neue Zeichen sehen, das blau ins Holz geprägt war.
Es war ein gesprungener Stein.
XX
FLÜSSE KALT UND WARM
I ch fand die anderen nicht weit von dort, wo ich sie verlassen hatte, in ihrem Lager beim Quellgebiet. Wir waren länger als
drei volle Tage getrennt gewesen. Das Wiesengras in seinen verschiedenen Grüntönen wellte sich in der Brise. Als meine Gefährten
mich kommen sahen, lief Rhia mir entgegen. Ihr besorgtes Gesicht entspannte sich, sobald sie das dritte Zeichen auf meinem
Stock sah.
Sie griff nach meiner Hand. »Ich habe mir solche Sorgen gemacht, Merlin.«
Mir wurde die Kehle eng. »Aus gutem Grund, fürchte ich. Du hast gesagt, ich könnte mich verirren, und das habe ich wohl auch
getan.«
»Aber du hast den Weg zurück gefunden.«
»Ja, aber ich habe zu lange gebraucht. Jetzt bleiben noch zehn Tage, nicht mehr.«
Bumbelwy kam zu uns, fast stolperte er beim Sprung über den plätschernden Bach über seinen Umhang. Er zeigte zwar die gewohnten
griesgrämigen Falten, schien aber aufrichtig froh mich zu sehen. Er packte meine Hand und schüttelte sie heftig, seine Glocken
rasselten in meinen Ohren. Ich ahnte, dass er gleich versuchen würde sein berühmtes Glockenrätsel zu stellen, drehte mich
um und ging rasch davon. Er und Rhia folgten. Bald hatten wir das Zwergenreich hinter uns gelassen. Aber eine weite Strecke
lag noch vor uns.
Denn der vierte Schritt, Benennen, hatte etwas mit den Slantos zu tun, einem geheimnisvollen Volk,
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