Merlin und die sieben Schritte zur Weisheit
näherten sich dem Thron. Einer von ihnen krümmte sich unter
einem gewaltigen schwarzen Stein, so rau wie die Wände, der doppelt so viel wie sein Träger wiegen musste. Auf ein Nicken
von Urnalda ließ er ihn krachend auf den Boden fallen.
Der zweite Zwerg trug in einer Hand Hammer undMeißel, in der anderen einen kleinen, leuchtenden Gegenstand. Es schien eine umgedrehte Tasse aus klarem Kristall zu sein,
die mit dem Rand auf seiner Handfläche lag. In dem Kristall flackerte ein unruhiges Licht. Auf Urnaldas Nicken legte er die
Werkzeuge neben den Stein. Dann stellte er vorsichtig die Tasse auf den Boden, wobei er die Hand so rasch wegzog, dass nichts
daraus entfliehen konnte.
Urnalda lachte schnaubend und die Fackeln brannten heller. »In diesem Kristallkäfig sein eine Leuchtfliege, eines der seltensten
Geschöpfe auf Fincayra.« Sie grinste mich schief an, ihr Blick gefiel mir nicht. »Deine nächste Aufgabe ist Beschützen, nicht
wahr? Damit du das Nötige lernst, musst du die beste Möglichkeit finden, die Leuchtfliege vor Schaden zu bewahren.«
Ich betrachtete Hammer und Meißel und schluckte mühsam. »Du meinst, einen Käfig meißeln – aus diesem großen Stein?«
Sie kratzte sich nachdenklich an der Nase. »Wenn das die beste Möglichkeit sein, das empfindliche kleine Geschöpf zu schützen,
dann sein das, was du tun musst.«
»Aber das könnte Tage dauern. Oder Wochen!«
»Zwerge haben viele Jahre gebraucht, um die Tunnel und Hallen unseres Reiches auszuhauen.«
»So viel Zeit habe ich nicht.«
»Still.« Sie zeigte mit ihrem Stock auf ein Loch in der Decke, aus dem gedämpftes Licht fiel. »Dieser Tunnel, genau wie der,
durch den du heruntergefallen bist, versorgt uns mit Luft und Licht. Es gibt Hunderte von ihnen, jeder so glatt wie der Boden,
auf dem du sitzt, jeder durch Zauber an der Oberfläche verdeckt. Das sein der Grund,warum Zwerge so gut geschützt sein. Das sein der Grund, warum du hierher gekommen bist, um die Seele der Strophe zu finden.«
»Bist du sicher, dass es keine andere Möglichkeit gibt?«
Die Ohrringe schaukelten von einer Seite zur anderen. »Es gibt keine andere Möglichkeit, die Lektion zu lernen. Deine Aufgabe
sein, das kleine Geschöpf vor Schaden zu bewahren. Jetzt fang an.«
Mit einem endgültigen Klimpern ihrer Muscheln verließ Urnalda mit ihrem Gefolge den Raum. Ich starrte auf die knisternden
Fackeln an der Wand und sah zu, wie die Schatten von Urnaldas Thron wuchsen, dann schrumpften, dann wieder wuchsen. Dieser
Thron war wie die Wände aus gnadenlosem Stein gehauen worden. Dem gleichen Stein, aus dem die Zwerge im Lauf der Jahrhunderte
ein ganzes Reich geformt hatten.
Und jetzt war ich an der Reihe, den Stein zu formen.
XIX
BESCHÜTZEN
D er Hammer und der Meißel schimmerten kalt im zuckenden Licht der Fackeln. Ich griff nach den Werkzeugen, stand auf und ging
zu dem massigen schwarzen Stein. Er reichte mir fast bis zur Hüfte. Ich hob den Hammer und machte meinen ersten Schlag. Meine
Hand, mein Arm und meine Brust bebten. Bevor der Hammerschlag verklungen war, machte ich den zweiten. Und den dritten.
Die Zeit verging, während ich arbeitete, aber ohne ihren gewohnten Rhythmus. Denn im unterirdischen Thronsaal Urnaldas waren
die einzigen Anzeichen von Tag und Nacht an dem Lufttunnel in der Decke über meinem Kopf abzulesen. Während bei Nacht die
runde Öffnung vom silbernen Mondlicht leuchtete, strahlte sie bei Tag hell vom goldenen Sonnenlicht.
Doch Tag oder Nacht bedeuteten für mich keinen Unterschied. Die Fackeln an der Wand knisterten ständig. Ich hämmerte unaufhörlich
– auf den flachen Kopf des Meißels, direkt auf den schwarzen Stein und gelegentlich auf meinen armen geschwollenen Daumen.
Der Hammer schlug im Rhythmus meines Atems. Splitter flogen in die Luft und manchmal mir ins Gesicht. Doch ich arbeitete weiter
und machte nur lange genug Pause, um etwas von dem dicken rauchigen Haferbrei zu essen, den die Zwerge mir brachten, oder
unruhig auf der Decke zu schlafen.
Drei bärtige Zwerge bewachten mich die ganze Zeit. Einer stand über meinem Stock auf dem Steinboden und hatte die muskulösen
Arme über der Brust verschränkt. Neben seinem Dolch hing eine zweischneidige Axt von seinem Gürtel. Die anderen beiden trugen
lange Speere mit Spitzen aus blutrotem Stein und hatten zu beiden Seiten des Tunneleingangs Stellung bezogen. Alle hatten
den gleichen grimmigen Gesichtsausdruck, der nur
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