Merlin - Wie alles begann
überlistete.«
»Das gefällt mir. Woher kennst du solche Geschichten?«
»Von . . . jemand.« Ich wischte mir die Stirn ab. »Aber ich . . . wollte ich . . . hätte . . . jetzt . . . solche Äpfel.«
Rhia lächelte, doch sie ging nicht langsamer.
Große Steinblöcke, zersprungen und mit rosa und purpurnen Flechten bedeckt, wuchsen wie Riesenpilze aus dem Boden. Die Abstände
zwischen den Bäumen wurden größer und ließen mehr Sonnenlicht durch das Blätterdach. Zwischen dicken Wurzeln und umgestürzten
Stämmen wuchsen Farn und hin und wieder Blumen.
Dann blieb Rhia stehen und wartete unter einem Baum mit weißer Rinde bei einem Felsgesims. Während ich mich mühte sie einzuholen,
legte sie die Hände an den Mund und gab einen merkwürdigen heulenden Schrei von sich. Im nächsten Moment schauten drei kleine
Eulengesichter, flach und flaumig mit riesigen gelben Augen, aus einem Loch in halber Höhe des Stamms. Sie betrachteten uns
aufmerksam. Dann schrien sie zweimal gleichzeitig und verschwanden wieder.
Rhia drehte sich nach mir um und lächelte. Dann stieg sie weiter den Hügel hinauf. Endlich war sie oben angekommen, blieb
stehen, stemmte die Hände auf die Hüften und betrachtete die Aussicht. Noch bevor ich bei ihr war, fiel mir ein neuer, fruchtiger
Geruch auf. Als ich schließlich keuchend neben ihr stand, nahm mir der Blick das letzte bisschen Atem.
In der runden Lichtung vor uns schlangen sich Bäume aller Größen und Formen ineinander und bedeckten die ganze Hügelspitze.
Ihre Äste waren schwer mit Früchten beladen und senkten sich fast bis aufs Gras. Und was für Früchte! Leuchtend orange Kugeln,
schlanke grüneHalbmonde, dichte gelbe und blaue Trauben leuchteten zwischen den aufblitzenden Flügeln von Schmetterlingen und Bienen. Runde
Früchte. Viereckige. Schwere. Zierliche. Die meisten dieser Obstsorten hatte ich noch nie gesehen, noch hätte ich mir träumen
lassen, dass es sie geben könnte. Das Wasser lief mir im Mund zusammen.
»Mein Garten«, sagte Rhia.
Sekunden später verschlangen wir die Früchte, die uns am nächsten hingen. Saft lief mir über Kinn, Hals, Hände und Arme. Kerne
klebten in meinem Haar, halb gekaute Schalen hingen an meiner Tunika. Aus der Ferne glich ich wohl selbst einem Obstbaum.
Die orangen Kugeln hatten einen scharfen Geschmack, ich schälte und aß sie, bevor ich die anderen Sorten ausprobierte. Eine
Art, wie eine Urne geformt, enthielt so viele Kerne, dass ich sie angewidert ausspuckte. Rhia lachte und steckte mich damit
an. Dann probierte ich eine andere runde mit einem Loch in der Mitte. Zu meiner Erleichterung schmeckte sie wie süße Milch
und hatte überhaupt keine Kerne. Als Nächstes schluckte ich die Hälfte einer grauen, eiförmigen Frucht. Obwohl sie fast keinen
Geschmack hatte, machte sie mich irgendwie traurig, ich sehnte mich nach all den Dingen, die in meinem Leben fehlten.
Als Rhia sah, dass ich diese Sorte versucht hatte, deutete sie auf eine spiralige Frucht mit einer blassen Purpurfarbe. Ich
biss hinein. Ein Geschmack wie Sonnenschein füllte meinen Mund und vertrieb die Wehmut.
Rhia hielt sich an winzige rote Beeren, die in Büscheln von fünf oder sechs an einem Stamm wuchsen. Ich versuchteeine, aber sie war so überwältigend süß, dass mir fast übel wurde.
Erstaunt sah ich zu, wie Rhia zehn zugleich verzehrte. »Wie kannst du so viel davon essen?«
Sie achtete nicht auf mich und aß weiter.
Endlich war ich satt. Mehr als satt. Ich setzte mich und lehnte mich an einen der dicksten Stämme im Garten. Nachmittagslicht
sickerte zwischen Blättern und Früchten hindurch, eine leichte Brise wehte über den Hügel. Rhia hatte schließlich genug süße
rote Beeren gegessen. Sie setzte sich zu mir, ihre Schulter stieß an meine.
Mit ausgestreckten Armen wies sie auf die wunderbare Baumgruppe vor uns. »All das«, sagte sie dankbar, »aus einem einzigen
Samen.«
Ich riss die Augen auf. »Einem einzigen Samen? Das kann nicht dein Ernst sein.«
»Oh doch. Der Samen des Shomorrabaums bringt nicht nur einen Baum hervor, sondern viele, nicht nur eine Frucht, sondern Hunderte.
Und obwohl die Shomorra so viel wachsen lässt, ist sie so schwer zu finden, dass ihre Seltenheit legendär ist.
So selten wie eine Shomorra
heißt der alte Spruch. In der ganzen Druma ist das die einzige.«
Ich atmete tief die duftende Luft der Lichtung ein. »Ich bin hier nicht zu Hause, aber ich habe das Gefühl, dass
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