Merlin - Wie alles begann
wütend.
In einer fremden, rauen Sprache rief sie ein Kommando und winkte dabei mit der Hand, als wollte sie eine Fliege verscheuchen.
Sofort wickelten sich die schweren Äste einer Hemlockstanne um meine Mitte, Arme und Beine. Die Äste hielten mich fest, und
je mehr ich zappelte, umsofester drückten sie. Dann hoben sie mich hoch. Schwebend hing ich da und konnte mich nicht rühren.
»Lass mich herunter!«
»Jetzt fällst du nicht noch einmal.« Das Mädchen gebrauchte meine eigene Sprache, Keltisch, das ich in Gwynedd gesprochen
hatte, aber mit einem merkwürdigen, singenden Akzent. Ihr Gesichtsaudruck wechselte von Zorn zu Heiterkeit. »Du kommst mir
vor wie eine große braune Beere, allerdings keine schmackhafte.«
Sie pflückte eine dicke purpurrote Beere aus dem Moos zu ihren Füßen und steckte sie in den Mund, verzog das Gesicht und spuckte
sie wieder aus. »Puh! Keine Süße mehr.«
Ich brüllte: »Lass mich herunter!« Ich versuchte mich zu befreien, aber der Ast um meine Brust drückte so, dass ich kaum atmen
konnte. »Bitte! Ich tu dir . . . nichts«, krächzte ich.
Das Mädchen sah mich streng an. »Du hast das Gesetz des Drumawalds gebrochen. Hier dürfen keine Fremden herein.«
»Aber . . . das wusste ich . . . nicht«, keuchte ich.
»Jetzt weißt du’s.« Sie pflückte noch eine Beere. Offenbar schmeckte sie besser als die erste, denn sie bückte sich und pflückte
weiter.
»Bitte . . . lass mich . . . herunter.«
Das Mädchen ignorierte mich völlig, pflückte schnell eine Beere nach der anderen und aß sie fast im gleichen Tempo auf. Schließlich
machte sie Anstalten, die Lichtung zu verlassen ohne auch nur einen Blick auf mich zu werfen.
»Warte!«
Sie blieb stehen. Verärgert schaute sie mich an. »Du kommst mir vor wie ein Eichhörnchen, das die Nüsse eines anderen gestohlen
hat und erwischt wird. Jetzt willst du sie zurückgeben, aber es ist zu spät. Morgen oder übermorgen komme ich vorbei und schaue
nach dir. Falls ich daran denke.«
Sie drehte sich um und ging rasch davon.
»Warte!«, ächzte ich.
Sie verschwand hinter einem Vorhang aus Ästen.
Wieder versuchte ich mich aus der Fessel herauszuwinden. Die Hemlockstanne drückte fester zu und presste den Galator unter
meiner Tunika tief in meine Rippen. »Warte! Im Namen des . . . Galators.«
Das Gesicht des Mädchens tauchte wieder auf. Zögernd kam sie zurück. Sie stellte sich unter die mächtige Tanne und schaute
eine Zeit lang zu mir herauf. Dann schnippte sie mit dem Handgelenk und sprach mehrere raue Worte, die ich nicht verstand.
Sofort lösten sich die Äste von mir. Ich fiel kopfüber zu Boden. Dann zog ich eine Hand voll Tannennadeln aus meinem Mund
und kam mühsam auf die Beine.
Warnend hob sie die Hand. Weil ich nicht wieder gefesselt werden wollte, gehorchte ich und rührte mich nicht.
»Was weißt du über den Galator?«
Ich zögerte. Der Galator musste sehr berühmt sein, wenn man ihn sogar in diesem entlegenen Land kannte. Vorsichtig verriet
ich, was ich zu sagen wagte. »Ich weiß, wie er aussieht.«
»Das weiß ich auch, wenigstens vom Hörensagen. Was weißt du noch?«
»Nur wenig.«
»Schade«, sagte sie mehr zu sich als zu mir. Sie kam näher und betrachtete mich neugierig. »Warum haben deine Augen diesen
abwesenden Blick? Sie erinnern mich an zwei Sterne, die hinter Wolken verborgen sind.«
Steif antwortete ich: »Meine Augen sind meine Augen.«
Wieder musterte sie mich. Dann drückte sie mir wortlos die letzten ihrer purpurroten Beeren in die Hand.
Unsicher roch ich daran. Ihr Duft machte mir bewusst, wie hungrig ich war, deshalb steckte ich sie wider bessere Einsicht
in den Mund. Die Süße explodierte auf meiner Zunge. Ich verschlang den Rest auf einen Satz.
Das Mädchen betrachtete mich nachdenklich. »Ich sehe, dass du gelitten hast.«
Ich verzog das Gesicht. Sie hatte die Narben bemerkt. Sie entgingen keinem, der mir ins Gesicht schaute. Und doch . . . es
kam mir vor, als hätte sie auch etwas unter der Oberfläche gesehen. Ich empfand den unerklärlichen Wunsch, mich diesem sonderbaren
Mädchen der Wälder anzuvertrauen. Aber ich gab ihm nicht nach. Schließlich kannte ich sie nicht. Noch vor einem Augenblick
hätte sie mich den Bäumen preisgegeben. Nein, ich würde nicht so töricht sein ihr zu vertrauen.
Sie ließ langsam den Kopf kreisen und horchte auf ein leises Flüstern in den Zweigen. Ich sah den verschlungenen Blätterschmuck
in
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