Merlin - Wie alles begann
sucht, das seine Macht vollendet – etwas, das er
den letzten Schatz
nennt. Das kann nur eins bedeuten.«
»Den Galator?«
Rhia nickte langsam. »Jeder, der weiß, wo er versteckt ist, befindet sich in größter Gefahr.«
Ich konnte die Warnung nicht überhören. »Du weißt, dass ich ihn habe.«
»Ja«, antwortete sie ruhig. »Ich weiß.«
»Und du glaubst, er könnte helfen die Druma zu retten.«
Nachdenklich schob sie die Lippen vor. »Vielleicht, vielleicht auch nicht. Das weiß nur der Galator selbst. Aber ich glaube
immer noch,
du
könntest helfen.«
Ich trat zurück und stieß meinen Hals an einem abgebrochenen Ast. Verdruss schrie mich tadelnd an.
Doch der Schmerz in meinem Hals quälte mich so wenig wie der in meinem Ohr. Denn ich hatte in ihrer Stimme dieses gewisse
Etwas gehört, das ich die ganze Zeit absichtlich überhört hatte. Sie sah wirklich etwas Wertvolles in mir! Bestimmt irrte
sie sich. Aber ihr Glaube war selbst eine Art Schatz, auf seine Art so kostbar wie der, den ich um den Hals trug.
Die Worte stürmten auf mich ein.
So kostbar wie der, den ich um den Hals trug.
Plötzlich erkannte ich, dass ich meinen Hinweis hatte! Den Hinweis, den ich so angestrengt gesucht hatte!
Bis jetzt hatte ich angenommen, man würde den Galator in Fincayra einfach kennen – nicht dass er wirklichnach Fincayra
gehörte.
Jetzt wusste ich es besser. Er war der mächtigste unter den alten Schätzen dieses Landes. Und er war wohl um die gleiche Zeit
verschwunden, zu der Branwen und ich an die Küste von Gwynedd gespült wurden. Wenn ich nur herausfinden könnte, wie der Galator
in Branwens Hände gefallen war, oder wenn ich wenigstens mehr über seine Geheimnisse erfahren könnte, dann wäre ich vielleicht
auch im Stande, meine eigenen Geheimnisse zu lüften.
»Der Galator«, sagte ich. »Was weißt du sonst noch darüber?«
Rhia ließ meine Hand los. »Nichts. Und jetzt muss ich gehen. Mit dir oder ohne dich.«
»Wohin?«
Sie wollte schon antworten, da erstarrte sie und horchte. Verdruss, der sich an meine linke Schulter klammerte, war ebenfalls
völlig reglos.
Rhias braune Haare zitterten wie die Äste, als wieder ein Wind durch den Wald wehte. Als ihr Gesicht sich vor Konzentration
anspannte, fragte ich mich, ob ihr glockengleiches Lachen je wieder zwischen diesen Bäumen klingen würde. Das Geräusch schwoll
ständig an, ein Chor aus Rascheln und Knarren, Trommeln und Stöhnen.
Als der Wind sich legte, beugte sie sich zu mir. »Goblins sind im Wald gesehen worden! Ich habe keine Zeit zu verlieren.«
Sie fasste nach meiner Tunika. »Kommst du mit? Hilfst du mir eine Möglichkeit zu suchen, die Druma zu retten?«
Ich zögerte. »Rhia . . . es tut mir Leid. Der Galator. Ich muss mehr über ihn herausfinden! Verstehst du das nicht?«
Ihre Augen wurden schmal. Ohne Abschied wandte sie sich zum Gehen.
Ich holte sie ein und griff nach einer Ranke von ihrem Ärmel. »Ich wünsche dir Glück.«
»Ich dir auch«, erwiderte sie kühl.
Im Unterholz hinter uns krachte es. Wir fuhren herum und sahen einen jungen Hirsch mit dem Ansatz eines Geweihs über seinem
bronzefarbenen Kopf. Der Hirsch sprang über Stämme am Boden und schien vor etwas zu fliehen. Für den Bruchteil einer Sekunde
sah ich seine braunen Augen, tief und dunkel, voller Angst.
Aufgewühlt erinnerte ich mich an das andere Mal, als ich einen Hirsch gesehen hatte. Doch damals war die Angst in meinen Augen
gewesen. Und damals hatte der Hirsch alles in seiner Kraft Stehende getan, um mir zu helfen.
Rhia machte sich los und wollte weiter.
»Warte! Ich komme mit dir.«
Ihr Gesicht leuchtete auf. »Wirklich?«
»Ja . . . aber nur bis unsere Wege sich trennen.«
Sie nickte. »Eine Zeit lang also.«
»Und wohin gehen wir?«
»Wir suchen das einzige Geschöpf in der ganzen Druma, das vielleicht weiß, was wir tun sollen. Die große Elusa.«
Aus irgendeinem Grund war ich mir nicht sicher, ob mir der Klang dieses Namens gefiel.
XIX
HONIG
R hia sprang so schnell davon wie der Hirsch. Obwohl meine Beine immer noch steif waren, gab ich mir alle Mühe, ihr durch dichtes
Unterholz und über moosgesäumte Bäche zu folgen. Doch sie musste oft anhalten und auf mich warten.
Weil die Sonne hoch über uns stand und Lichtstrahlen auf den Waldboden schickte, konnte ich Hindernisse viel leichter erkennen
als in der Nacht zuvor. Trotzdem stolperte ich so oft, dass Verdruss schließlich von meiner Schulter flog. Er blieb
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