Merlin - Wie alles begann
könnte. Wie ein Riese sein soll.«
»Ich glaub es nicht.« Ich bückte mich, um ihn genauer zu betrachten. »Du kommst mir nicht wie ein Riese vor. Noch nicht einmal
wie ein kleiner.«
»Aber ich sein!«
»Dann bin ich ein Pilz.«
»Und warum gehen der Pilz herum und ziehen an anderer Leute Nasen?«
Rhia musste so lachen, dass jedes Blatt an ihrem Rankenanzug zitterte. »Lass ihn in Ruhe, Emrys. Wenn er sagt, er ist ein
Riese, dann glaube ich ihm.«
Offenbar beruhigt klopfte der winzige Kerl seinen runden Bauch. »Ich essen ein leckeres Mahl, ärgern keinen, bis ich sein
gestört.«
»Ich heiße Rhia. Wie heißt du?«
Er schaute nervös über die Schulter und murmelte: »Können heutzutage nicht zu vorsichtig sein.« Er trat einen winzigen Schritt
näher. »Ich heißen Shim.«
Ich beobachtete ihn misstrauisch. »Und sag mal, Shim, schwimmst du immer im Honig, wenn du ihn trinkst?«
»Bestimmt, definitiv, absolut! Wenn du nicht wollen, dass Bienen dich stechen, sein das beste Methode.«
Rhia lächelte. »Das hat was für sich. Aber es muss schwierig sein, wieder herauszukommen.«
Der kleine Riese zischte: »Du, du machen dich lustig über mich!«
»Aber gar nicht«, neckte ich ihn. »Du bist kein bisschen komisch.« Ich wollte das Lachen unterdrücken, aber plötzlich brach
es aus mir heraus. Ich kicherte und brüllte und hielt mir die Seite.
Der winzige Kerl schoss auf mich zu und trat mir, so fest er konnte, auf den Fuß. Gleich war ich wieder ernst und wollte mich
auf ihn stürzen.
»Nein, halten! Bitte, halten!«, rief Shim und versteckte sich hinter Rhias Beinen. »Ich nicht wollen dir wehtun. Wirklich,
ehrlich, aufrichtig.«
»Du hast es aber getan!« Ich versuchte den klebrigen Klumpen hinter Rhia zu erwischen. »Wenn ich dich kriege, kneife ich dich
in mehr als deine Nase.«
»Warte«, befahl Rhia. Sie fasste mich an der Schulter. »Dafür haben wir keine Zeit. Wir haben lange genug getrödelt!«
Widerwillig trat ich zurück. »Wahrscheinlich hast du Recht. Überhaupt werden die Bienen jede Sekunde zurückkommen und ihre
Stacheln für die Schlacht zücken.« Ich schaute Shim an. »Wenn ich du wäre, würde ich ein gründliches Bad nehmen, bevor sie
sich auf dich stürzen.«
Die rosa Augen quollen ängstlich aus den Höhlen. »Auf mich?«
»Bestimmt, definitiv, absolut.«
Der kleine Riese keuchte. »Ich wirklich hassen, wenn Bienen stechen.« Und er verschwand in den Nebelschwaden hinter dem Felsen.
Aber im nächsten Moment schrie er entsetzt auf. Rhia und ich liefen ihm nach, um zu sehen, was geschehen war.
Ein paar Sekunden später schrien wir auch. Hals über Kopf fielen wir in eine tiefe Grube. Langsam kamen wir zu einem Halt.
Die Welt war völlig finster geworden.
»Oh, mein Kopf«, stöhnte ich.
Etwas zappelte unter mir. »Gehen runter von mir, du Idiot!«
Ein Arm oder Bein, klebrig und voller Schmutz und Blätter, schlug mir direkt ins Gesicht. »Au! Vorsicht, du tapsiger Honigball!«
»Aufhören!«, rief Rhia. »Wir müssen sehen, wie wir hier herauskommen.«
»Was heißt überhaupt hier?«, fragte ich. »Wir müssen in ein Loch gefallen sein. So tief, dass ich noch nicht einmal irgendein
Licht dort oben sehen kann. Und fühl mal den Boden! Er ist ganz stachlig, nicht wie normaler Stein.«
»Ich kaaann deine Fraaage beaaantworten«, hallte eine Donnerstimme aus der Dunkelheit. »Iiihr haaabt meinen Baaaau gefuuunden.«
»Wessen Bau?«, fragten wir alle gleichzeitig.
Es gab eine lange Pause.
»Den Baaau der groooßen Eluuusa.«
XXI
DIE GROSSE ELUSA
D ie Wände des Raums schienen von der Lautstärke zu beben.
Rhia drückte sich an meine Seite. Ich versuchte angestrengt etwas zu erkennen, aber mein zweites Gesicht war in dieser völligen
Dunkelheit nutzlos. Einen Augenblick dachte ich daran, mein in Caer Myrddin gegebenes Versprechen zu brechen und die Kräfte
zu erproben, die ich vielleicht noch besaß. Um uns zu beschützen, so gut ich es vermochte. Doch schon der Gedanke weckte alle
meine alten Ängste und ich saß da wie erstarrt.
»Sein du«, flüsterte Shim in die Dunkelheit, »das Geschöpf, das – das alles fressen?«
»Ich freeesse, waaas ich wiiill.« Die tiefe Stimme hallte, ihre Schwingungen trommelten auf uns ein. »Jeeetzt saaagt miiir,
weeer iiihr seid, bevooor iiich euch freeesse.«
Tapfer räusperte ich mich. »Ich heiße . . . Emrys.«
»Emryyys von wooo?«
Diesmal war meine Stimme schwächer. »Das weiß ich
Weitere Kostenlose Bücher