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Merlin - Wie alles begann

Merlin - Wie alles begann

Titel: Merlin - Wie alles begann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas A. Barron
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das Tor sah ich eine Frau, groß und dunkel wie der Mann, über den Platz eilen. Bevor sie in einem der Häuser verschwand,
     winkte sie zwei Kindern, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, denen die schwarzen Haare über die Schultern fielen. Die Kinder
     rannten zu ihr und die Tür fiel krachend zu. Ich fand es merkwürdig, dass wir die Schritte ihrer nackten Füße hörten, aber
     nicht ihre Stimmen. Die Frau und die Kinder waren so still wie der Mann mit dem Speer.
    Dann wurde mir klar, dass aus diesem ganzen Dorf keine einzige Stimme drang. Kein Babygeschrei. Kein Gelächter von Freunden.
     Kein Wortwechsel von Nachbarn über den Weizenpreis, die Ursache von Läusen oder den Regen, der vielleicht kam. Keine Laute
     der Wut, der Freude, der Trauer.
    Überhaupt keine Stimmen.
    Der Mann stieß wieder mit seinem Speer zu und berührte fast die Falten meiner Tunika. Ich wich langsam zurück und dachte immer
     noch über das merkwürdige Leuchten seiner Augen nach. Stirnrunzelnd sagte ich zu ihm: »Was auch immer dir und deinem Dorf
     angetan wurde, es tut mir Leid.«
    Der Speer fuhr wieder knapp an meiner Brust vorbei durch die Luft.
    »Komm, Shim. Hier sind wir nicht willkommen.«
    Der kleine Riese wimmerte, aber er drehte sich um und folgte mir. So still wie die Stadt der Barden stapften wir über die
     Tundra. Allmählich ließen wir die flackerndenFackeln weit hinter uns, doch die bedrückende Stille haftete uns weiter an.
    Hinter uns zog die Sonne im Untergehen einen Vorhang aus strahlendem Violett über den Drumawald. Zögernd gab ich die Hoffnung
     auf, eine Unterkunft in dieser gesichtslosen Ebene zu finden. Doch ich wusste, dass ich weitersuchen musste bis zu dem Moment,
     in dem ich meinen Stock nicht mehr sehen konnte. Sonst würden Shim und ich die Nacht im Freien verbringen müssen wie die unheimlichen
     Geschöpfe, die hungrig in der Ferne heulten.
    In diesem Augenblick bemerkte ich etwas Dunkles vor mir. Es schien ein Fels zu sein – und darauf ein Mensch.
    Als wir näher kamen, sah ich zu meinem Erstaunen, dass es ein Mädchen war. Sie sah ein paar Jahre jünger aus als Rhia. Sie
     saß auf dem Felsen, ließ die Beine baumeln und schaute zu den violetten und blauen Streifen am dunkelnden Himmel hinauf. Ein
     vergnügtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht.
    Vorsichtig ging ich näher. »Hallo.«
    »Möchtest du mit mir den Sonnenuntergang betrachten?«
    »Danke, nein.« Ich sah in ihre strahlenden, heiteren Augen, die so ganz anders waren als die Augen des Mannes von vorhin.
     »Solltest du nicht nach Hause gehen? Es ist ziemlich spät.«
    »Oh nein«, sagte sie munter. »Ich betrachte gern den Sonnenuntergang von hier aus.«
    Ich trat noch näher. »Wo bist du zu Hause?«
    Das Mädchen kicherte schüchtern. »Das sag ich dir, wenn du mir sagst, wohin du gehst.«
    Vielleicht wegen ihrer freundlichen Art oder weil sie mich ein wenig an Rhia erinnerte, fühlte ich mich zu diesem munteren
     Mädchen hingezogen. Ich wollte mit ihr reden, und sei es nur ein paar Minuten lang. In einem Winkel meines Herzens konnte
     ich so tun, als würde ich wieder mit Rhia selbst reden. Und wenn das Dorf dieses Mädchens irgendwo in der Nähe war, könnten
     wir vielleicht doch noch eine Bleibe für die Nacht finden.
    »Wohin gehst du?«, wiederholte sie.
    Ich lächelte. »Oh, wohin mein Schatten mich führt.«
    Wieder kicherte sie. »Dein Schatten wird bald verschwinden.«
    »Deiner auch. Du solltest nach Hause gehen, bevor es dunkler wird.«
    »Mach dir keine Sorgen. Mein Dorf liegt gleich hinter dem Hang dort.«
    Während wir uns unterhielten, schlich sich Shim näher an den Felsen heran, auf dem sie saß. Vielleicht fühlte auch er sich
     aus dem gleichen Grund wie ich zu ihr hingezogen. Sie schien ihn nicht zu bemerken. Dann hielt er aus irgendeinem Grund inne
     und wich langsam zurück.
    Ohne mir darüber Gedanken zu machen fragte ich das Mädchen: »Meinst du, wir könnten heute Nacht in deinem Dorf bleiben?«
    Sie warf den Kopf zurück und lachte herzhaft. »Natürlich.«
    Meine Stimmung wurde besser. Jetzt hatten wir doch noch eine Unterkunft gefunden.
    In diesem Augenblick zupfte Shim an meiner Tunika. Ich beugte mich zu ihm und der kleine Riese flüsterte:»Ich sein nicht sicher, aber ich denken, etwas an ihren Händen sein sonderbar.«
    »Was?«
    »Ihre Hände.«
    Rasch schaute ich zu den Händen des Mädchens, obwohl ich nicht damit rechnete, etwas Seltsames zu sehen. Zuerst fiel mir nichts
     auf. Und doch . . .

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