Merlins Drache II - Die Große Aufgabe: Roman
fast so schmerzlich ist, die Gemeinschaftwird von Angst beherrscht. Priester und Priesterinnen verhalten sich immer starrer, täglich sind sie mehr in fundamentalistischen Anschauungen befangen. Das ist nicht mehr der Orden, den meine Mutter gegründet hat, ein Orden, der auf Liebe und Respekt für alle lebenden Geschöpfe beruht.«
»Aber du bist die Hohepriesterin!«
Rhia schüttelte den Kopf. »Nicht mehr.«
»Willst du dir das nicht noch einmal überlegen?«, bat er dringlich. »Wir brauchen dich hier, Rhia. Um für Avalon zu kämpfen! Wir können es immer noch retten, wenn wir …«
Sie unterbrach ihn. »Nein. Ich habe einfach nicht die Kraft, Basil. Und auch nicht den Willen.« Sie atmete langsam aus. »Und ohne das … bin ich nur eine Last. Deshalb muss ich weggehen.«
Und so hatte ihr Gespräch geendet. Würde es das letzte sein? Würden sie sich eines Tages in der Zukunft wiederbegegnen? Das konnte niemand wissen.
Basilgarrad regte sich ruhelos auf dem Rand der Schlucht. Trübsinnig hob er den Kopf und schaute auf den schwarzen Spalt am nächtlichen Himmel, wo eine helle Sternenreihe einst ungestüm gestrahlt hatte. Der Zauberstab. Wohin waren diese Sterne verschwunden? Warum waren sie dunkel geworden? Welche Rolle spielte diese verschwundene Konstellation in dem schwer fassbaren Rätsel von Avalons Schicksal – dem Rätsel, das ihn so lange schon quälte?
Er wusste, alle diese Fragen konnte nur Merlin beantworten.Genau wie er wusste, dass es nur noch eine Person in ganz Avalon gab, die vielleicht erfolgreich auf die Suche nach Merlin gehen konnte. Die allerletzte Person, die Basilgarrad fragen wollte. Die allerletzte Person, die zum Helfen bereit sein würde.
Der Drache, der immer noch auf den leeren Fleck am Himmel schaute, knirschte mit den Zähnen. So schwer es auch sein mochte, er musste es versuchen. Morgen würde er zu Krystallus fliegen.
32
Magische Landkarten
Es gibt viele Möglichkeiten, sich zu verirren. Manchmal kann keine Karte helfen.
W o, überlegte Basilgarrad, sollte er Krystallus suchen? Der beste Ort für den Anfang war das Forschungszentrum, das Merlins Sohn gegründet hatte – die Eopia Hochschule für Kartenzeichner. Dieses Institut stand an einer mächtigen Pforte am östlichen Ende von Brynchilla und konnte sich jetzt rühmen, die größte Kartensammlung in Avalon zu besitzen. Seine weit gereisten Bewohner besuchten regelmäßig die sieben Wurzelreiche und auch (so wurde gemunkelt) die nebligen Küsten des versunkenen Fincayra im Geisterreich.
Viele Leute wohnten in der Hochschule, entweder um das Kartenzeichnen zu lernen oder um ihre neuesten Entdeckungen festzuhalten. Unter ihnen war Krystallus. Niemand war so weit gereist wie er – auf einer neuen Reise hatte ihn eine geheime Route in den Stamm des Baums zu einer inneren Höhle geführt,die er die große Kernholzhalle nannte. Doch diese Entdeckung vergrößerte nur seinen Appetit auf mehr, genau wie alle anderen Funde in seiner sagenumwobenen Laufbahn.
Basilgarrad stieß aus den Wolken herunter und sah zum ersten Mal die Hochschule.
Was ist denn das für ein Gebäude?,
fragte er sich und schaute auf einen vielfarbigen Flickenteppich aus alten Decken, verblassten Tuniken und Bodenplanen, wie man sie in Zelten brauchte. In manchen Tuchstücken schimmerten glitzernde magische Fäden, anderen gab der Schmutz von vielen Reisen die jetzige Farbe.
Verwirrt flog er tiefer. Als die kantigen Schatten seiner Flügel über die Hochschule glitten, verstand er es plötzlich.
Das ist ein Zelt! Ein riesiges Zelt.
Entweder hatte Krystallus beim Bau der Hochschule an das Leben eines umherwandernden Forschers erinnern wollen, der oft in einem Zelt oder im Freien schlief, oder er hatte einfach nicht die Zeit gefunden, etwas Stabileres zu konstruieren.
Basilgarrad landete neben der riesigen Einzäunung, wobei er auf den losen Steinen rutschte, die auf der Klippe lagen. Langsam näherte er sich dem Zelt, den riesigen Schwanz zog er hinter sich her und gab acht, dass er den Vortrag einer Frau in einem Hemd aus Haaren nicht störte, die ihre Abenteuer in Trolldom beschrieb. Fasziniert von ihrem Bericht (und von dem zahmen einäugigen Troll, der neben ihr stand und versuchte, vorbeifliegende Vögel mit der Zungezu fangen), achteten die Zuhörer kaum auf Basilgarrad. Er war schließlich ein vertrauter Anblick in Avalon, während ein Troll als etwas wirklich Exotisches galt. Als der Drache vorbeikam, hielt das Publikum den Atem an, weil
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