Merlins Drache II - Die Große Aufgabe: Roman
der Troll schnell die Zunge herausgestreckt und sich eine unglückliche Möwe geschnappt hatte.
An der offenen Wand des Zelts, die zu einem großen Eingang hochgerollt war, legte Basilgarrad den enormen Kopf auf den Boden davor. Leute wuselten hinein und heraus, sie gingen mit kaum einem Blick auf ihn um seine Schnauze herum, als wäre nichts Besonderes daran, einem Drachen auf dem Hochschulgelände zu begegnen. Manche waren tief in ein Gespräch über ferne Orte vertieft wie zwei junge Männer mit Federhüten, die über die Zusammensetzung eines Wolkenkuchens in Luftwurzel stritten. Andere trugen so hohe Rollenstapel auf den Armen, dass häufig etwas herunterfiel. Wieder andere plauderten oder sangen in Sprachen, die selbst Basilgarrad auf all seinen Reisen nie gehört hatte.
Dieser Ort kommt mir mehr wie ein Zirkus vor, einer Hochschule gleicht er bisher kaum,
dachte er beim Anblick einer Zwergengruppe, die einen Elefanten mit großen Schlappohren in das Zelt führte.
Neugierig schaute er hinein. Von der Zeltspitze hing ein großes blaues Banner mit dem Emblem, das er gut kannte: ein Stern in einem Kreis, das alte Symbol für Reisen zwischen Orten und Zeiten. Direktdarunter stand etwas, das ihn überrascht schnauben ließ – ein maßstabgetreues Modell des großen Baums von Avalon, das sich langsam auf seinem Sockel drehte. Die Darstellung der sieben Wurzelreiche ging wunderbar auf Einzelheiten ein und zeigte Wälder, Seen, Moore, Siedlungen sowie Erkennungszeichen aller Art. Beschreibungen standen auf der Oberfläche. Aber die noch unerforschten Äste zeigten kaum irgendwelche Merkmale.
»Verzeih, Meister Drache.«
Basilgarrad senkte den Blick und sah neben seinem Unterkiefer einen jungen Elf stehen, der zwar größer war als andere Elfen, aber kaum bis an die Unterlippe des Drachen reichte. »Ja?«, dröhnte die umfangreiche Stimme.
»Bist du nicht Friedensflügel?«, fragte der Elf und schaute mit seinen waldgrünen Augen hinauf in die viel größeren Augen in ähnlicher Farbe.
»Der bin ich«, antwortete die ungeheuer tiefe Stimme. »Obwohl es in diesen Tagen schwer ist, Frieden zu finden.«
Der Elf nickte. Offenbar interessierte ihn die Vergangenheit mehr als die Gegenwart, denn er fragte: »Stimmt es, dass du im Moment von Avalons Entstehung aus dem Ei geschlüpft bist?« Er runzelte die Stirn und setzte hinzu: »Obwohl du deine Drachengestalt erst später angenommen hast – als du siebenunddreißig Jahre alt warst, um genau zu sein.«
Basilgarrads Mundwinkel verzogen sich zu einemLächeln. »Ja, das stimmt. Und du bist wohl Tressimir – der junge Historiker unter den Waldelfen.«
Der Elf wurde rot und fragte: »Hast du von mir gehört?«
»Drachen haben große Ohren.« Er lachte rumpelnd in sich hinein. »Jetzt sag mir, Tressimir, hast du eine Ahnung, wo ich Krystallus finden kann?«
Der Elf strahlte. »Aber ja! Er war gerade heute Morgen hier, er arbeitet an dieser neuen Kartenidee. Du weißt schon, eine Karte, die …«
»Ich weiß es nicht«, unterbrach ihn Basilgarrad. »Aber könntest du ihn für mich suchen?«
»Natürlich.« Tressimir eilte ins Zelt zu den vielen Leuten.
Basilgarrad schaute ihm nach und beschloss, sich näher zu betrachten, was da drin vor sich ging. An einer Wand entlang sah er mehrere Trennwände, die kleinere Räume herstellten.
Klassenzimmer,
erkannte er. In jedem Raum unterrichtete jemand eine Gruppe Zuhörer. Um das Wichtige zu unterstreichen, brachen die Dozenten häufig in Sprechgesang, Lieder oder wilde Schreie aus. Dann wieder hielten sie Zeichnungen hoch, Musterstücke von Kleidung, Gipsabdrücke von Fußspuren oder (in einem Fall) eine riesige goldfarbene Klaue.
An der Wand auf der anderen Seite des Zelts, hinter dem Modell des Baums, saßen Dutzende von Studenten an individuellen Schreibtischen. Jeder hielt einen Adlerfederkiel in der einen und eine Karte mitungefährer Skizze in der anderen Hand, während er auf die Papierrolle zeichnete, die auf dem Schreibtisch ausgebreitet war. Tintenflaschen, weitere Federkiele, Löschtücher und Kompasse waren überall verstreut.
Ein edles Handwerk,
dachte der Drache beifällig.
Man muss sehr geschickt sein, wenn man eine anständige Karte zeichnen will.
Basilgarrad kroch näher. Überall auf dem Boden sah er andere Arten von Karten – von manchen hatte er Gerüchte gehört, von anderen hätte er sich nicht träumen lassen. Da, neben dem sich drehenden Baum, hielt ein Ständer eine große Karte, die
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