Merry Ex-Mas
Olivia war Witwe, und daher hatte sie, wie Cass fand, jedes Recht der Welt, so viel zu naschen, wie sie wollte. Außerdem durfte Cass sich sowieso kein Urteil darüber erlauben. Schließlich naschte auch sie nur allzu gern.
„Hier ist noch ein bisschen was extra, wenn die Versuchung zu groß wird“, sagte sie und reichte Olivia eine Tüte mit Lebkuchenkeksen in Form von Tannenbäumen.
„Oh, danke. Was bekommst du dafür?“
„Nichts. Die gehen aufs Haus. Aufs Lebkuchenhaus“, fügte Cass zwinkernd hinzu.
Dani, die gerade die heutigen Bestellungen von Lebkuchenhäusern zur Post gebracht hatte, kam in den Laden. „Oh, hier kommt ja unsere zukünftige Braut“, begrüßte Olivia sie.
Dani errötete erfreut und lächelte Olivia an.
Sie wird eine bildhübsche Braut, dachte Cass. Wenn sie nur mehr Zeit hätten, um die Hochzeit zu planen.
„Ich habe deiner Großmutter und deiner Tante unsere letzten Zimmer vermietet“, erzählte Olivia Dani. „Es war schlau, dass du neulich angerufen hast. Sonst wäre das auch schon belegt gewesen“, fügte sie hinzu. „Seitdem hatte ich noch drei Anfragen.“
„Eine davon war bestimmt von meiner Stiefmutter“, sagte Dani, und diesmal errötete sie nicht vor Freude.
Babette. Cass merkte, dass sich ihre Stimmung merklich verschlechterte. Bimbette passte wohl eher. Cass hatte sie noch nicht kennengelernt, aber sie hatte Bilder von ihr gesehen. Die Frau war nichts weiter als ein hübsches Anhängsel. Cass wusste aus zuverlässiger Quelle (nämlich von ihrem Sohn), dass sie nicht kochen konnte.
Aber Mason hatte Babette ja auch nicht wegen ihrer Kochkünste geheiratet. Sie war professionelle Cheerleaderin für die Seattle Seahawks gewesen, eine sogenannte Sea Gal. Davon zeugte ihre perfekte Figur. Natürlich hatte sie diesen Beruf aufgegeben, als sie sich Mason im reifen Alter von dreißig Jahren geschnappt hatte. Und jetzt war sie schon, ja, was, einunddreißig? Und Stiefmutter einer Zwanzigjährigen. Was für ein Witz.
Olivia machte den Eindruck, als wäre ihr die Sache unangenehm. „Ich wünschte, ich hätte das eher gewusst. Dann hätte ich euch eine Reihe von Zimmern reserviert.“
„Wenn wir alle das eher gewusst hätten, wären wir auch sehr viel strukturierter an die Sache herangegangen“, meinte Cass. Es war als Erklärung und nicht als Anschuldigung gegen ihre Tochter gemeint gewesen. Doch der Röte nach zu urteilen, die Danis Wangen überzog, nahm sie sich diese Bemerkung sehr zu Herzen. „Aber Mike hat diesen Job in Spokane bekommen und fängt im Januar an. Und natürlich wollen die beiden zusammen sein.“
„Natürlich“, sagte Olivia zu Dani. „Ich hoffe wirklich, dass eure Gäste noch Zimmer finden. Ich weiß, dass Annemarie voll belegt ist, und Gerhardt auch.“
Keine freien Zimmer. Was für ein Pech. Dann verpassen Mason und Bimbette vielleicht die Hochzeit . Kein sehr freundlicher Gedanke, schalt Cass sich.
„Oh“, meinte Dani besorgt.
„Im Mountain Springs drüben in Cashmere ist vielleicht noch etwas frei“, schlug Olivia vor. „Das ist auch nicht besonders weit entfernt.“
Dani nickte und zog ihr Handy aus der Jeans.
Als sie ein Stück zur Seite trat, um zu telefonieren, senkte Olivia die Stimme. „Das alles ist sicher ein bisschen heikel, oder?“
Wenn das mal keine Untertreibung war. „Ja, ein wenig“, erwiderte Cass.
„Schon als ich das Zimmer reserviert habe, kam ich mir wie eine Verräterin vor, aber Dani hat mich ja gefragt.“
„Das ist schon okay. Eigentlich bin ich dir sogar dankbar. Sonst hätten sie womöglich noch bei mir übernachten wollen.“
Allein der Gedanke daran ließ Cass erschaudern. Ihre kritische Exschwiegermutter und ihre gehässige Exschwägerin in ihrem Haus? Eine grässliche Vorstellung!
Zwei Frauen mittleren Alters waren in den Laden gekommen und warteten geduldig vor einer der Glasvitrinen. Olivia, die genau wie alle anderen Einwohner in Icicle Falls, wusste, wie wichtig die Einnahmen durch die Touristen waren, meinte: „Dann verschwinde ich lieber mal wieder. Ich muss noch einkaufen gehen, sonst bekommen meine Gäste morgen früh nichts zum Frühstück.“ Zu den neuen Kundinnen sagte sie: „Die Lebkuchenfiguren sind köstlich. Aber probieren Sie auf jeden Fall auch die Windbeutelschwäne. Danach werden Sie sich alle zehn Finger lecken.“
Die Frauen hörten auf ihren Rat, kauften Lebkuchenkekse und ein paar Windbeutel. Eine von ihnen erstand auch ein Lebkuchenhaus.
In der Zwischenzeit
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