MERS
dorthin gebracht, von Gott der Mutter…?«
Sie erwartete nicht, daß er sie verstand. Aber er fiel nicht sogleich darüber her; er ließ ein langes Schweigen zu, als ob diese Idee sogar den Panzer seines Realismus durchschlagen hätte.
Dann sagte er: »Für wen wirst du es also tun? Für die Göttin oder die Menschheit?«
Sie runzelte die Stirn. »Die Frage ist viel zu ernst. Ich tu’s für keinen von beiden – ich tu’s für mich. Ich löse ein Problem. Bin schlau unter schlauen Leuten. Das gefällt mir gut.«
»Der Welt zu helfen hat nichts damit zu tun?«
»Kein Interview, Mark.« Sie wandte sich ab. »Ich bin keines deiner Opfer.«
»Es hätte mich interessiert.« Er nahm seinen Kaffeebecher. »Tut mir leid, wenn es sich wie ein Interview angehört hat.«
Sie dachte darüber nach. Vielleicht war sie ja ernst. Nein, sie beide waren ernst. Sie setzte sich wieder an den Tisch. »Und es tut mir leid, daß ich mich wie ein Opfer angehört habe.«
»Und es tut mir leid, daß es dir leid tut.«
»Und es tut mir leid, daß es dir leid tut, daß es mir leid tut.«
Feierlich nickten sie einander zu. Es war ein Familienscherz – seiner Familie, nicht ihrer. Der Vater war Verhaltenspsychologe, die Mutter Anwältin gewesen. Beide lebten jetzt in Italien. Familienscherze waren nützliche Fluchtmechanismen.
Marks Kaffee war kalt geworden, und er leerte den Becher jetzt mit einem Schluck. »Wo waren wir stehengeblieben?«
Sie sagte es ihm: »Wir haben gerade geglaubt, dort draußen gäbe es ein Heilmittel.«
»Das ist’s. Ein Heilmittel gegen ein Virus.« Er suchte eine weitere Seite hervor. »Was macht also ein Virus so schwierig?« Er beantwortete die eigene Frage. »Ein Virus ist ein unabhängiges genetisches System, das imstande ist, sich selbst von einer Wirtszelle zur nächsten zu übertragen. Es verändert seine Morphologie, um sich der Wirtszelle anzupassen. Viele Viren sind so winzig, daß man sie nicht ausfiltrieren kann.«
Harriet lachte. »Das auch. Das größte Virus ist ein Zehntel so groß wie ein durchschnittliches Bakterium. Obgleich Elektronenmikroskope ihnen gewachsen sind. Und ich bin mir deines ›unabhängigen genetischen Systems‹ nicht so sicher. Sie sind ziemlich primitiv. Einige Virologen halten sie für nicht-lebend, außer in einer parasitären Beziehung.«
»Also?«
»Also sind sie schwer zu studieren. Virus-Abkömmlinge zu isolieren und zu konzentrieren, damit man sie studieren kann, ist eine verteufelte Aufgabe. Manchmal erkennen wir sie am besten anhand der von ihnen stimulierten Antikörper-Produktion.«
»Aber das Syndrom weist keine Antikörper auf.«
»Nicht, daß wir bislang welche gefunden hätten.«
»Wenn du es nicht identifizieren kannst und wenn es keine Antikörper hat, ist es vielleicht kein Virus.«
»Vielleicht doch. Du redest wie die verdammte Fovas.« Sie sah, daß ihn das ärgerte. »Ich bin nicht bloß starrköpfig. Viren produzieren nicht-spezifische Reaktionen. Und es gibt andere, nicht in Erscheinung tretende Infektionen – viele Arten von Krebs, beispielsweise, und Herpes Simplex –, die in Wartestellung liegen, bis sie aktiviert werden. Möglicherweise durch Fieber oder Stress. Menstruation. Intensives Sonnenlicht.«
»Menstruation?«
»Genau das.« Sie beugte sich eifrig vor. »Eine frauenspezifische Reaktion. Wenn sie dort erfolgen kann, kann sie irgendwo anderswo erfolgen.«
»Aber du hast noch nicht herausgefunden, wo?«
»Nein.«
Er unterstrich etwas in seinen Notizen. »Wie wird dir dieser Dr. Fatty also helfen?«
»Ich habe keine Ahnung.« Sie lächelte entschuldigend. »Ich weiß, das klingt schwach, aber…«
Er schnitt ihr das Wort ab. »Ein mysteriöses Laboratorium, ein großer Knall, der richtige Ort und die richtige Zeit, ein einziger Überlebender… natürlich ist das verlockend.«
»Das richtige Gebiet zum Nachforschen ebenfalls, Mark. Woodruff war brillant – ein Genetiker mit einer langen Laufbahn in der AIDS-Forschung. Und AIDS muß irgendwie darin verwickelt sein. Es kann kein Zufall sein, daß das Syndrom Frauen HIV-Immunität verleiht.«
»Also würde ein Heilmittel die Immunität aufheben.«
»Das wissen wir nicht. Die meisten Immunreaktionen überstehen ihren vorausgegangenen Faktor. Damit werden wir uns beschäftigen müssen, wenn wir soweit gekommen sind.«
Er nickte und drehte eine andere Seite um. »Hier habe ich ein großes Fragezeichen. Kann ein Syndrom-Heilmittel gleichzeitig ein AIDS-Heilmittel
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