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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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die See, und man schien gleich über den Rand hinauszufliegen. Es war angsterregend bei den ersten paar Malen, wenn das geschah, und Harriet war erst dabei, sich daran zu gewöhnen. Sie lief den Hügel zu den Schaukeln hinauf. Danno wüßte, wo er sie fände.
    Auf dem Spielplatz war es windig. Er war verlassen, abgesehen von den lebensgroßen Bronzestatuen eines Jungen und eines Mädchens, die auf einer Art Fels standen. Der Junge zeigte auf das Meer hinaus, zeigte dem Mädchen etwas, und es blickte an seinem Arm entlang. Die Statuen waren Teil des Spielplatzes. Kinder hatten sie mit Farbe bekleckert, und Harriets Vater sagte, es machte nichts aus, und ihre Mutter sagte, es sei entwürdigend. Der Arm des Jungen war stark: man konnte sich daran hängen, ohne mit den Füßen über den Boden zu streifen. Harriet gefielen die Statuen, und sobald sie zu Ende geschaukelt hatte – es war kalt dort oben, und der leere Spielplatz ließ einen frösteln –, lief sie hinüber.
    Sie versuchte, am Arm des Jungen entlangzusehen, herauszufinden, worauf genau er zeigte, aber wie stets war der Kopf des Mädchens im Weg. In beiden Richtungen gab es an der Küste grüne Landzungen und zerrissene Klippen, die in der Nachmittagssonne sehr klar und nah wirkten, aber er zeigte anscheinend überhaupt nicht darauf, sondern hinaus aufs Meer. Der Wind fuhr zischend durch den Spalt zwischen den beiden modellierten Köpfen hindurch. Dem Jungen war ein Bart auf das Bronzekinn gemalt worden, aber Papa hatte schon recht, es machte nichts. Sie liebte den Jungen. Sie wollte seine Wange berühren, seine Nasenflügel, die breiten, bronzenen Augenlider, aber sie getraute sich nicht. Er war verzaubert, und er würde es nicht gestatten.
    Plötzlich war ihr sehr traurig zumute, und sie lief davon, die Straße hinab, zurück zur Schule.
    »Dummes Balg.« Daniel stand an der Schultür. Er war gerade erst herausgekommen. »Ich hab schon überall nach dir gesucht.«
    »Ich hab jahrhundertelang auf dich gewartet, Danno. Wo bist du gewesen?«
    »Ich hab nicht weg können.« Er hatte sich mit Petr und einigen anderen Jungen Automagazine in der Toilette angesehen, bis Mr. Barendt sie hinausgejagt hatte. »Dann komm, da du jetzt zu erscheinen geruht hast.«
    »Wenn du wirklich überall nach mir gesucht hättest, hättest du mich gefunden. Du hast mich nicht finden können. Wenn du wirklich überall gesucht hättest…«
    »Dumme Kuh. Dann komm jetzt!«
    »Selber Kuh!«
    Sie ging los.
    »Nicht da lang. Wir gehen unten ’rum, über die Harbour Street.«
    »Das sind Kilometer. Mama hat gesagt, wir sollen schnurstracks nach Hause gehen.«
    »Mama hat gesagt, du sollst tun, was ich sage. Stimmt’s?«
    Er ging in die entgegengesetzte Richtung davon. Er war zutiefst besorgt gewesen, als er herausgekommen war und Harriet war nicht da gewesen. Jetzt hockte sie ihm schmerzhaft im Nacken.
    Harriet wandte den Blick von ihm ab, wie er davonging, und sah wieder über die School Lane zu den eisernen Geländern oben an den Stufen der Gasse. Sie konnte leicht allein nach Hause gehen. Sie wußte den Weg. Aber sie hatte keinen Türschlüssel. Abgesehen davon hatte sie die Nase voll von dem ewig gleichen alten Spaziergang, und es wäre sowieso Dannos Schuld – Mama hatte ihr gesagt, sie solle ihm gehorchen. Und er ging den langen Weg unten herum heim, und das tat er nur, weil er sich das Schaufenster des Spielzeuggeschäfts an der Harbour Street ansehen wollte. Sie lief, um ihn einzuholen. Sie verstand die Traurigkeit nicht, die sie oben neben der kalten Statue des Jungen gefühlt hatte, aber diese Traurigkeit verfolgte sie jetzt und wollte nicht weichen.
    Sie gingen im Zickzack die School Lane entlang, Daniel wenige Schritte vor ihr, die Hände in den Taschen. Er trat nach einem Stein. Die Straße lag jetzt sehr ruhig da; alle anderen Kinder waren schon längst heimgegangen. Vor ihnen hob eine Frau ihren Kinderwagen die Stufen zum Vordereingang hinab und schob ihn auf den Bürgersteig, damit er soviel Sonne wie möglich abbekäme.
    Daniel ging gerade eben rasch genug, daß seine Schwester traben mußte.
    »Danno!« rief sie. »Was ist eine Therapie?« Er gab vor, sie nicht gehört zu haben. »Was ist eine Therapie, Danno?«
    Er blieb stehen, wandte sich um, verharrte höhnisch. »Therapie?«
    »Mama hat gesagt, du würdest sie brauchen. Therapie. Sie hat gesagt, du…«
    »Verdammichte Frau.« Er kannte das Wort nicht. »Ich hasse sie wirklich!«
    »Das ist blöde.«
    »Nein, ist

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