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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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Fahrkarte und jene Fahrkarte – ebenso wie die einfache Tatsache meines Verschwindens. Ich war nirgendwo. Ich existierte nicht. Die Illusion war großartig, aufregend, ein neuer Anfang. Ich saß da und sah die Welt an mir vorbeistreichen und fühlte mich einzigartig frei.
    Das Gefühl war nicht von Dauer. Die Welt, die an meinem Abteilfenster vorüberzog, das waren die Vorstädte, daraufhin riesige, ebene Felder, bis zum Horizont in große Schollen gepflügt, grau im Frost unter einem noch graueren Himmel. Vor mir lagen eine dreistündige Bahnfahrt und bei meiner Rückkehr die Ministerin, Marton und Sergeant Milhaus. Ich war einzigartig frei.
    Wir hatten Anna nicht zur Schule gehen lassen. Nach dem falschen Alarm vom Vortag ging ich keine Risiken ein. Mark blieb bei ihr zu Hause – er mußte an seinem UV-Artikel arbeiten. Bis wir Anna an einen sicheren Ort bringen konnten, würde sie das Haus nicht verlassen und nie allein sein. Ich hatte selbst bei ihr bleiben und Mark auf diese Reise schicken wollen, aber er hatte seit unserer Hochzeit vor sieben Jahren kein Wort mehr mit Mama gewechselt, und er kannte sie sowieso kaum. Und die Insel, zu der ich fuhr, hieß auch nicht umsonst ›Nomansland‹: obgleich es nicht völlig das bedeutete, was es besagte – es gab männliche Mitglieder der Gemeinschaft, die in der Schule unterrichteten –, stünden die Chancen gut, daß unbekannte Männer, die an den Schultoren auftauchten, wieder heimgeschickt wurden.
    Mama war seit etwa zehn Jahren dort. Oma, die an der Klosterschule unterrichtet hatte, jedoch niemals Nonne geworden war, war jetzt tot. Sie war nicht alt gewesen, und sie war letztes Jahr gestorben, an nichts Besonderem. Laut Notarzt: Herzversagen. Ich vermißte sie noch immer sehr, insbesondere, wenn ich gute Nachrichten mitzuteilen hatte, aber wenn sie ihre Gründe gehabt hatte, respektierte ich sie. Vielleicht hatte sie mit siebzig, nach einem vierzigjährigen Leben in einem widersinnigen Bevölkerungsrückgang, die Nase voll gehabt. Andererseits versagten Herzen aus ihren eigenen, geheimen diastolischen Gründen.
    Mama war jetzt eingekleidete Nonne. Armut, Keuschheit, Gehorsam… Armut und Keuschheit machten ihr bestimmt nichts aus – sie hatte Dinge nie als Eigentum betrachtet, und Sex war so verwirrend für sie gewesen, daß ein Leben ohne ihn auf heiligem Grund und Boden eine Erleichterung darstellte (die Homo-Phase war sicherlich nur ideologisch begründet gewesen) –, aber Gehorsam mußte ihr sehr schwerfallen. Daß sie daran festhielt und darunter gedieh, war sowohl Mama als auch der Gründerin des Ordens zuzuschreiben. Bei meinem einzigen kurzen Kontakt mit Margarethe Osterbrook anläßlich Papas Beerdigung hatte mich ihre robuste Spiritualität beeindruckt. Sie hatte einen langen Weg von der öligen Vehemenz während meiner Kindheit zurückgelegt. Selbst Fernsehpredigerinnen können sich entwickeln.
    Eigentlich hatte sie ihren Orden gar nicht richtig gegründet. Er war ihr vielmehr aufgrund öffentlicher Nachfrage zugefallen. Für die Töchter von Gott der Mutter gab es jetzt Klöster in siebenundzwanzig Ländern. Selbst keine Nonne, gab Osterbrook den Klöstern völlige Selbständigkeit der Leitung, während sie weiterhin predigte und ständig umherreiste. Bei den seltenen Gelegenheiten, zu denen ich über ihre Fernsehclips gestolpert war, hatte ich den Eindruck gewonnen, daß sie ihre Gefolgsleute zweifellos liebte, sie jedoch nicht sonderlich mochte. Das verlieh ihren Worten eine erfrischende Schärfe.
    Bei meiner Ankunft in Nomansland erwartete ich, als Mutters berühmte Tochter, ein nicht gerade übertriebenes Willkommen. Klöster sind niemals Orte der Schwäche – es benötigt Härte, um Leute auf sogar nur halbwegs friedliche Weise zusammenleben zu lassen –, und ein Kloster, das auf Margarethe Osterbrooks Lehre beruhte, wäre ebenso hellwach und gewitzt wie jedes andere.
    Der Zug fuhr ganz schön schnell über die flache südliche Ebene – 500 Kilometer in gerade mal etwas mehr als zwei Stunden –, und stieg dann jäh hinauf zu den Bergpässen der Küstenscheide. Dort oben hatte der November Fuß gefaßt, und die baumlosen Nordflanken der Gebirgskämme waren von Schnee gestreift. Der Zug fuhr über steil abfallende Serpentinen, und nur der leere Raum raste unterhalb meiner Fenster dahin. Falken kreisten, und ein winziger Fluß wand sich durch den fernen Talgrund. Die graue Bewölkung wurde dünner und ließ eine weiße Sonne durchscheinen.

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