MERS
finden. Sie nahmen eine Fahrradrikscha. Mark
zeigte der Fahrerin die Adresse, die Michael für ihn
aufgeschrieben hatte. Viele Fahrgäste waren fetter als sie,
dachte Harriet, während sie ängstlich und ganz gerade
dasaß, wie von Fäden gehalten, und sich ganz dünn
machte.
Dr. Aku Fetaya wohnte in der Vorstadt am Rand einer Gruppe
Armeekasernen am anderen Ende der Stadt, vom Flughafen aus gesehen.
Der Lehm trocknete jetzt, aber seine Färbung war vorherrschend.
Die Fahrradrikscha entließ sie vor einer Reihe niedriger,
zweigeschossiger Geschäfte mit offenen Frontseiten und
durchgeweichten Markisen. Die Straße war überfüllt,
jedoch seltsam still. Überall hockten lustlose, gereizte
Männer zwischen den Eßständen, Schneidern,
Briefeschreibern und Wahrsagern. Mark bezweifelte, daß sie
richtig wären, aber ihre Fahrerin beharrte darauf. Sie zeigte
auf einen Laden mit zugezogenem Vorhang neben einem Verkäufer
von lebhaft grünen und rosafarbenen Getränken in hohen,
schaumverkrusteten Glaskrügen, die auf einer abgenutzten
Kunststofftheke standen. An dem Vorhang war ein großes
Stück Karton befestigt, worauf, auf Englisch, Dr. A. Fateya,
Doctor of Health and Medicine stand. Achtsam ging Mark
darauf zu, wobei er die Halbliterflasche Whisky in seiner Tasche
befingerte. Er bezahlte das Taximädchen im voraus, sie sollte
warten. Sie hockte sich vor die Wand von Dr. Fateyas Haus, wobei sie
förmlich in einem Lumpenhaufen verschwand. Der Himmel klarte
auf, aber der beißende Stadtdunst waberte noch immer durch die
Straßen.
Der Vorhang bestand aus Bambusstäben, und in der Mitte
klaffte ein schmaler Spalt, durch den man eintrat. Harriet folgte
Mark hinein, wobei sie die schillernden Schlammpfützen umging.
Eine Trennwand im Innern versperrte die Sicht auf den
größten Teil des Ladens und trennte einen kleinen Bereich
im vorderen Teil ab, der als Wartezimmer diente und worin drei
rostige, zusammenklappbare Gartenstühle standen. Die Wand
bestand aus verblaßtem, bläulich-rosaschimmerndem Gips und
war mit Reklame für Verhütungsmittel und einem Porträt
des vorvorletzten amerikanischen Präsidenten verziert. Eine
weitere Öffnung, bedeckt von einem Vorhang aus Nylon mit
eingewebtem Chenille, führte in das, was offensichtlich Dr.
Fateyas Sprechzimmer war.
Mark war verblüfft. Harriet sah zu, wie er nach einer
Tür zum Anklopfen suchte. Sie wäre gleich eingetreten,
dachte aber daran, daß der Doktor vielleicht einen Patienten
hatte. Sie piekste den Vorhang.
»Dr. Fateya?« Aufgrund seines Schilds vorn rief sie auf
Englisch hinein. »Darf ich hereinkommen?«
Es erfolgte keine Antwort. Sie blickte Mark an, der die Schultern
hob. Diese Reise wurde als Quelle eines einzigartigen
Forschungsmaterials in wachsendem Ausmaß
unwahrscheinlicher.
Sie hob die Stimme. »Dr. Fateya?«
Sie schob den Vorhang beiseite und trat ein. Schweigend und dunkel
lag der Raum da. Sie tastete nach einem Lichtschalter, und zwei
unglaublich grelle Neonröhren gingen flackernd an und
erleuchteten einen Schreibtisch, zwei Stühle, eine durchgelegene
Untersuchungscouch aus Kunststoff und einen großen, mit
Vorhängeschloß versehenen Schrank aus Glas und Chromstahl
voller Flaschen. Küchenschaben flohen und erzeugten dabei
scharfe, kleine, tapsende Laute. Sie beschattete die Augen. An den
Wänden hingen gerahmte Berufszertifikate in Sprachen, die
Harriet nicht lesen konnte. Es schien auch unwahrscheinlich,
daß viele der Patienten hier sie lesen konnten. Eine
Waschgelegenheit gab es offenbar nicht.
Mark trat zu ihr. »Und das ist ein Arzt?«
»Wir sind nicht hier, um uns von ihm verarzten zu
lassen.« Sie sollte stark sein. »Michael hat uns gewarnt.
Und Fateya hat ihm das Bein gerichtet, also kann er nicht völlig
hoffnungslos sein.«
Sie vernahmen Geräusche, Schritte kamen die Treppe herab,
daraufhin steckte ein älterer Mann mit dickem weiblichen Make-up
den Kopf zur Tür in der Rückwand von Dr. Fateyas
Sprechzimmer herein. Beim ihrem Anblick fuhr er zurück und
tauchte dann erneut auf, wobei sich nur seine großen,
leuchtenden, schwarzumrandeten Augen über einem purpurrot
gefleckten Schal zeigten. Harriet verspürte jäh einen
gewaltigen Zorn auf den Schal, auf die Küchenschaben, auf die
Türkei, auf jemanden, der den Schleier als Preis dafür
hinnahm, Frau zu sein.
Sie lächelte ihn sehr freundlich an. »Dr.
Fateya?«
Der alte Mann rollte die Augen nach oben, schob sich dann an ihnen
vorüber durch den Vorhang ins Wartezimmer
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