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MERS

MERS

Titel: MERS Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D.G. Compton
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dem
glatten weißen Taschentuch aus seiner Brusttasche. »Nach
dem Ausruhen, nun ja – ich habe mich soweit erholt.« Er
beugte die Arme wie ein professioneller Gewichtheber und grinste
kadaverhaft. Seine Zähne waren das Teuerste an ihm.
»Ziemlich gut erholt. Also wollen wir uns statt dessen um die
kleine Dame kümmern…«
    Er schlüpfte zwischen ihnen hindurch und wandte sich um.
»Bitte, wollen wir in mein Sprechzimmer hinabgehen? Sie sollten
natürlich nicht hier oben sein. Diese verdammte Dienerin
hätte nach mir schicken lassen sollen. Sie ist ein Stachel im
Fleisch. Ein Kreuz habe ich mit ihr zu tragen. Wirklich.«
    Er faßte Mark beim Ellbogen. »Aber Sie sind Leute von
Welt. Für Leute von Welt ist es nicht so schockierend, einen
alten Mann zu sehen, der sich ausruht?«
    Und weg war er, jäh die Stufen hinabgestiegen, ehe ihm Mark
das versichern konnte. Sie folgten ihm, wobei einer des anderen Blick
mied.
    »Das war rasch überlegt«, flüsterte
Harriet.
    »Erste Lektion auf der Journalistenschule – falle
niemals mit der Tür ins Haus.«
    Das Sprechzimmer war leer. Einen Augenblick später erschien
Dr. Fateya, der sich die Hände mit einem Wegwerfhandtuch
abtrocknete – zu Harriets Erleichterung. Er wartete
höflich, bis Mark den Wink verstanden hatte und ins Wartezimmer
hinüberging. Dr. Fateyas Untersuchung erfolgte klinisch gesehen
nicht gerade nach allen Regeln der Kunst, aber er zeigte um so mehr
altmodisches Taktgefühl. Sie konnte ihren Slip anbehalten.
Feinfühlig bohrten seine knochigen alten Hände, und die
Augen hielt er dabei geschlossen, als ob er horchte. Harriet
stieß kleine, tapfere Schreie aus, als eine
Blinddarmentzündung nicht diagnostiziert wurde. Er sagte:
»Ach, was!«, dankte ihr daraufhin und ging nach
draußen, um mit Mark zu sprechen. Wie es angemessen war,
würde sie seine Diagnose durch ihren Gatten erfahren.
    Die beiden Männer kehrten zurück. Mark erklärte
ihr, alles sei in Ordnung, sie brauche sich keine Sorgen zu machen.
So unfein war er nicht, daß er Winde erwähnt hätte.
Dr. Fateya schloß seinen Glasschrank auf und reichte ihr ein
verstaubtes Röhrchen mit Kohletabletten. Sie nahm sie bescheiden
entgegen. Sie hatte während ihres ersten Jahres auf der
medizinischen Akademie von Kohletabletten gehört und nahm eine.
Die Anleitung auf dem Röhrchen war in einer Sprache geschrieben,
die sie nicht verstand, vermutlich türkisch.
    Murmelnd standen die beiden Männer zusammen, und Geld
wechselte den Besitzer. Es sah nach ziemlich viel aus. Dann holte
Mark den Johnny Walker aus der Tasche und fragte schüchtern, ob
ein kleiner Schluck auf die gute Nachricht, den Blinddarm seiner Frau
betreffend, gegen Dr. Fateyas religiöse Prinzipien
verstieße. Das war nicht der Fall. Mark war so glücklich
darüber, daß er sich über den Zustand seiner Frau
keine Sorgen mehr machen mußte, und so bot er einen zweiten
Schluck an.
    Geräusche aus dem Wartezimmer kündigten einen weiteren
Patienten an. Dr. Fateya steckte den Kopf durch den Vorhang,
erklärte ausführlich etwas mit scharfen Worten, und der
Patient ging davon. Alle drei gingen wieder nach oben, wo es, wie Dr.
Fateya sagte, gemütlicher sei. Während er Harriet einen
Stuhl unterschob, fragte er, ob die Kohletabletten Wirkung zeigten.
Sie erwiderte, es müsse so sein. Sie fühle sich bereits
besser.
    Zwei Stunden lang waren sie oben in Dr. Fateyas Zimmer. Als der
Whisky fast zur Neige gegangen war, hatte ihnen Dr. Fateya eine alte,
rostfreie Thermosflasche aus einer verschlossenen Kiste hinten in
einem der Schränke gezeigt. Selbst in diesem späten Stadium
des Johnny Walker erhob er keinerlei Ansprüche auf die Flasche.
Er hatte sie aus einem Laborkühlschrank gerettet, und zwar in
den paar Augenblicken zwischen dem ersten und dem zweiten
Raketeneinschlag im Biberianischen Forschungszentrum. Er hielt den
Inhalt für einen der Bestandteile eines Impfstoffs im
Versuchsstadium. Er hatte sie nie geöffnet; er war ein
verantwortungsbewußter Wissenschaftler. Sie war ein
Erinnerungsstück, nichts weiter, und er würde sie mit sich
ins Grab nehmen. Er würde entsprechende Anweisungen
hinterlassen. Harriet sah, wie bedeutend sie für ihn war. Er
behandelte sie ehrfürchtig. Noch immer mit dem Emblem des
Biberianischen Zentrums und der aufgeklebten Chargennummer versehen,
stand sie für seine ruhmreiche Vergangenheit.
    Seine Vergangenheit hatte einen Preis. Von Harriet gedrängt,
der dabei ganz und gar nicht wohl zumute war, an

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