Messer, Gabel, Schere, Mord: Mitchell& Markbys Vierter Fall
es Ellen getan hatte. Das war es, was sich Ellen gewünscht hatte. Mrs. Danby hatte Recht. Ellen hatte gewollt, dass Margery das Geschäft, die Wohnung und alles andere erbte, weil nur Margery es verstehen und zu schätzen wissen würde. Und sie würde dort weitermachen, wo Ellen aufgehört hatte. Und dieses
»und alles« schloss auch Ellens Geheimnis mit ein.
Margery wusste nun, was es war. Sie würde es für sich behalten, genau wie Ellen es sich gewünscht hatte. Deswegen hatte Ellen ihr alles anvertraut. Margery würde sich darum kümmern und alles erhalten, wie es war. Sie würde ›Needles‹ nach Ellens Geschäftsgrundsätzen weiterführen, die Wohnung in Schuss halten und Ellens Geheimnis bewahren.
Zuerst hatte Margery nicht nach oben in die Wohnung gehen wollen. Es war ihr dort kalt und unheimlich vorgekommen. Sie hatte sich wie die schlimmste Sorte von Eindringling gefühlt, als sie mit Mr. Markby dort gesessen hatte und die Bücher durchgegangen war.
Damit war es nun vorbei. Seit sie das Geheimnis kannte, spürte sie eine Art Verwandtschaft mit Ellen. Oder genauer: eine Art Partnerschaft. Das war es, eine Partnerschaft. Ellen hatte mehr getan, als Margery nur ›Needles‹ zu hinterlassen. Ellen hatte Margery zur Partnerin gemacht.
Margery warf das Haar in den Nacken und durchquerte den Laden in Richtung der Treppe, die hinauf zur darüber liegenden Wohnung führte. Noch während sie nach oben stieg, schmiedete sie eifrig Pläne. Mrs. Danby hatte keine Probleme mit Ellens Testament gesehen, und sobald die Bestätigung eingetroffen war, konnte Margery das Geschäft wieder öffnen. Doch zuerst musste sie sich neu organisieren. Sie hatte ihrem Vermieter bereits Bescheid gesagt, dass sie das elende, voll gestopfte alte Zimmer zum Ende des Monats räumen würde. Doch es gab keinen Grund, warum sie bis dahin noch dort wohnen sollte. Dazu musste sie lediglich Ellens Sachen aus der Wohnung und ihre wenigen Habseligkeiten hineinschaffen.
Sie würde Ellens Möbel behalten, das Porzellan und die Küchenutensilien. Vielleicht würde sie sogar ein oder zwei von Ellens Kostümen und Kleidern behalten, denn Ellen hatte erst kürzlich ein paar wundervolle Sachen gekauft. Sie hatte sie nicht getragen, nur gekauft und dann in ihre Garderobe gehängt. Sie hatte Margery die Kleider gezeigt, und Margery hatte es verstanden. Es war unnötig, solch wunderschöne Dinge zu tragen; sie zu besitzen reichte aus. Imstande zu sein, sie vom Bügel zu nehmen und das seidige Material zu berühren, sie vor sich zu halten und damit vor dem Spiegel auf und ab zu flanieren. Selbstverständlich war Margery nicht Ellen und auch nicht so schön, aber in so wundervollen Kleidern musste ganz einfach jeder besser aussehen. Selbst Margery. All das war vermutlich sündig, dachte Margery mit einem Anflug von Schuldgefühlen. Eitelkeit. Trotzdem würde sie die Kleider tragen, sie einer praktischen Verwendung zuführen und nicht einfach nur behalten, um sich daran zu ergötzen. Und was sie nicht behalten würde, das würde sie zu Oxfam bringen. Das konnte schließlich keine Sünde sein.
Mit einem Gefühl freudiger Erwartung steckte Margery am Ende der Treppe den Schlüssel ins Schloss. Zu ihrer Überraschung schwang die Tür auf, sobald sie sie berührte – ohne dass sie den Schlüssel im Schloss gedreht hätte.
Margery zögerte. Sie war verwirrt und alarmiert. Sie hatte beim letzten Mal hinter sich abgesperrt, ganz sicher. War die Polizei noch einmal da gewesen?
Margery betrat die Wohnung und blieb mit einem erstickten Ausruf der Bestürzung stehen. Alles lag in einem unbeschreiblichen Durcheinander auf dem Boden verstreut. Schubladen waren ausgekippt worden, der Schreibtisch war aufgebrochen, das Holz rings um das Schloss zersplittert, die Ablagefächer gähnend leer. Bücher waren aus dem Regal gerissen, Schallplatten aus den Hüllen gezogen, die Sessel aufgeschlitzt und der Teppich zurückgeschlagen worden. Margery rannte ins Schlafzimmer. Das gleiche Bild der Verwüstung. Die Matratze war aus dem Bett gerissen worden und stand hochkant an der Wand. Sämtliche Kleidung, normale Alltagskleider und die wunderschönen neuen Designerkostüme, waren aus der Garderobe gerissen und wie wertlose schmutzige Lumpen achtlos zu Boden geworfen worden. Margery starrte voller Entsetzen darauf hinab. Sie wusste, dass sie nun niemals in der Lage sein würde, die schönen Sachen zu tragen. Hatte die Polizei diese schreckliche Verwüstung angerichtet? Nein.
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