Messertänzerin
der schlimmste Tag seines Lebens.
Am nächsten Abend hielten drei weiße Pferde an der Kreuzung. Auf dem ersten saß ein kräftiger, älterer Mann und hielt die Zügel der anderen beiden Tiere, auf deren Rücken eine Sänfte schaukelte. Als Divya den Hauseingang verließ und auf den Mann zuging, weiteten sich seine Augen.
»Hat Maita Euch diese Vesséla empfohlen?«, zischte er vom Pferd herunter. »Ihr seid nicht gerade unauffällig.«
»Sie hat mir gesagt, dass Gaukler die Farben für ihrenAuftritt selbst wählen dürfen«, gab Divya zurück und kletterte eilig in die Sänfte, damit er ihr nicht ansah, dass sie längst nicht so sicher war, wie sie sich gab. »Außerdem hatte ich das Gefühl, dass Maita keinen unauffälligen Mord wollte«, fügte sie so leise hinzu, dass er sie nicht hören konnte.
Die Pferde trotteten an, und Divya blieb in angespannter, aufrechter Haltung sitzen, als wäre sie kurz vor dem Sprung zurück auf die Straße. Nervös fingerte sie an der Vesséla herum, die sie für den heutigen Abend genäht hatte. Es war das schwarze Tuch, das die Leiterin eigens bestellt hatte, als Divya vor sechs Jahren beschlossen hatte zu sterben. Divya fand es äußerst passend, es heute zu tragen, denn ihr altes Ich würde sie heute begraben. Die Divya, die Träume hatte und die ihrem Blick in den Spiegel offen begegnen konnte. Und morgen würde sie wieder auferstehen, als Frau in Gelb, als künftige Ehefrau eines Lehrers.
Gelegentlich spähte Divya durch die Tücher hindurch nach draußen. Die Straßen wurden langsam breiter und heller, die Laternen verschnörkelter und die Paläste prächtiger. Dann hörte sie den Lärm einer Menschenmenge und verwundert lauschte sie auf die Stimmen. Einige Leute sangen etwas, das Divya schon einmal gehört hatte. Ein Hochzeitslied! Als sie sich vorbeugte, sah sie, worauf ihre Sänfte zuhielt: einen gewaltigen Palast mit schlanken Türmen, prächtig geschmückt mit blauen Fahnen und hell erleuchtet. Kurz darauf hielten die Pferde an. Sie waren am Ziel!
Nur zögernd setzte Divya ihre Maske aus schwarzer Spitze auf und kletterte aus der Sänfte.
Im gleichen Moment, als ihre Sandalen den Boden berührten,wurde der Gesang in ihrer Nähe abrupt unterbrochen. Ein Chor einfacher Leute aus einem der Handwerkerviertel musterte sie abfällig und begann hinter vorgehaltener Hand zu tuscheln. Ein paar Schritte weiter hielten Wachleute die gaffende Menschenmenge zurück, die zusah, wie etwa hundert Männer und Frauen in vornehmen Roben am Haupteingang Schlange standen.
Divya bemerkte, dass der Mann vor ihrer Sänfte immer noch da war und dass er sie beobachtete.
»Ist es wirklich dieser Palast?«, fragte sie eingeschüchtert.
Der Mann nickte und beugte sich zu ihr herunter. »Geh zum Seiteneingang. Drinnen gibt es jemanden, der mit uns zusammenarbeitet. Er erwartet dich und wird dich später in Sicherheit bringen. Viel Glück!«
Damit trieb er die Pferde an und war schon bald um die nächste Straßenecke verschwunden. Divya fühlte sich überrollt von einer Aufgabe, die viel größer war, als sie geahnt hatte.
Ein Stück abseits vom Haupteingang entdeckte sie nun eine Gruppe von seltsam aussehenden, äußerst bunt gekleideten Leuten, die ebenfalls Schlange standen. So hatte sie sich Gaukler immer vorgestellt, hier musste sie richtig sein!
Divya ging zu ihnen und beobachtete, wie jeder Gaukler erst einmal von den Wachen durchsucht wurde. Sie stand direkt hinter einem Mann mit langem blondem Haar, das wallend über einen Umhang aus bunten Flicken fiel. Sein Koffer hatte es den Wachen besonders angetan. Sie nahmen alles heraus und begannen, die skurrilen Flaschen darin zu öffnen und testweise am Inhalt zu schnuppern oder sogar zu probieren, begleitet von dem schrillen Kreischen des Eigentümers. Wie sie heraushörte, war er wohlein Seifenblasenkünstler, was auch immer das sein mochte, und wie er wiederholt betonte, könne er gleich wieder nach Hause gehen, wenn sein kostbares Seifenwasser verschüttet werde.
Divya wurde es immer heißer unter ihrer Vesséla in diesem äußerst hellen Raum, und sie spürte die Messer in ihrem Rücken, als würden sie sich dort hervorwölben wie ein Buckel. Erst ganz langsam wurde ihr bewusst, dass es nur wenige weibliche Gaukler gab und dass niemand es wagte, bei den Frauen mehr als das Gepäck zu durchsuchen. Und eine Tasche hatte sie nicht. Eine vorwitzige Frau mit einer langen Papierrolle in der Hand näherte sich einem recht attraktiven
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