Messertänzerin
Fackel trug, hielt sie so hoch, dass sie Divyas Fackel berührte, und wartete geduldig, dass das Feuer auf sie überging. Als es so weit war, hob sie die Hände und schlug den Takt, den normalerweise die Halas vorgaben, mit den Stiefeln auf den Silberplatten. Sie eigneten sich hervorragend als Untergrund für die Drehungen. Dann nahm sie die Grundhaltung ein für den Tanz des Frühlings, den sie mit einem hölzernen Kochlöffel geübt hatte. Allerdings war eine brennende Fackel doch noch mal eine größere Herausforderung, wie sie feststellen musste. Sie versuchte sie zu halten, als wären die Flammen für sie nichts Besonderes, und ihre Bewegungen folgten schon bald einer ungehörten Melodie, die sie wie immer beim Tanzen berauschte und mit sich trug. Ihre Vesséla flog im Takt hin und her, und Divya bremste sie immer, wenn der Stoff zu hoch flog, mit einer Drehung ihres Körpers in die entgegengesetzte Richtung. Die Wachen schienen die Vorführung zu genießen, sie stützten sich lässig auf ihre Lanzen und stießen sich gegenseitig an, wenn der Tanz wilder wurde. Beinahe machte es Divya Spaß. Auf einem so schmalen Steg hatte sie noch nie getanzt, es erforderte all ihr Können und ihre Konzentration. Und so war sie fast überrascht, als sie hinter sich ein Zischen hörte: »Alles in Ordnung!«
Sie ließ den Tanz in einem fulminanten Wirbel enden,verbeugte sich elegant und rief den beiden zu: »Gute Nacht!«
Damit sprang sie von der Mauer und landete neben Bamas, der ihr nach dem ersten Schreck die Fackel aus der Hand nahm und auf das große Zelt zeigte.
Hinter der Mauer war deutlicher Protest zu hören. »Komm zurück!«
Als jedoch Bamas mit seiner kräftigen, tiefen Stimme antwortete: »Meine Schwester wird nicht mehr tanzen! Willst du Ärger? Dann komm rüber!«, verriet das deutliche Schweigen auf der anderen Seite, dass die Sache damit erledigt war.
Eilig lief Divya zum Zelt. Die anderen erwarteten sie bereits. Freundlich nickten sie ihr zu, als sie sich in den Kreis setzte und wieder die Hände der anderen ergriff, um die Verbindung zu erneuern. Verua lag halb aufgerichtet, die Hände in denen ihrer Nachbarn, und Keiroan, der diesmal außerhalb des Kreises blieb, flößte ihr Wasser ein, das mit Kräutern gemischt war, und strich ihr das Haar aus dem Gesicht.
»Sie kommt zu sich«, sagte er unnötigerweise, aber mit so großer Hoffnung in der Stimme, dass es beinahe schmerzte. Seine Angst um Verua musste unermesslich gewesen sein.
Divya spürte, dass alle versuchten, ihr Kraft durch die Hände zu schicken. Und nach einer fast endlos wirkenden Zeit schlug Verua die Augen auf. Schwitzend, noch immer unregelmäßig atmend, aber mit einem schwachen Lächeln auf den Lippen.
»Ich bin wieder bei euch«, sagte sie, anscheinend selbst überrascht. »Und ich möchte euch die Antworten geben, bevor ich sie vergesse.«
Sie richtete ihren Blick auf die ältere Frau, die zuerst ihre Frage gestellt hatte.
»Das Wasser reicht noch zwei Tage, wenn ihr sparsam damit umgeht.«
Ein leiser Aufschrei ging durch die Reihen. Verua sah den jungen Mann an, der als Nächster an der Reihe gewesen war.
»Frei sein könnt ihr nur im Bunde.«
Divya fiel auf, dass Verua »ihr« sagte – als wäre sie noch Teil der anderen Seite, von der sie erst langsam zurückkehrte.
Sie blickte der Frau mit den Armbändern in die Augen. »Frei sein könnt ihr nur im Bunde«, wiederholte sie.
Irritiert sahen die anderen sich an. Waren Veruas Gedanken verwirrt, dass sie die gleiche Antwort zweimal gab? Divya erinnerte sich, dass die Frau gefragt hatte, woher sie bekommen konnten, was sie für eine lange Reise brauchten.
»Frei sein könnt ihr nur im Bunde«, sagte Verua nun auch dem älteren Mann, der nach der Verfolgung durch die Wachen gefragt hatte. Dreimal die gleiche Antwort?
Verua wandte sich Divya zu.
»Wenn du die Starken besiegen willst, musst du sie schwächen.«
Enttäuscht biss sich Divya auf die Lippen. Sie hätte ihre Frage besser abwägen sollen. Mit größter Hoffnung wartete sie auf die letzte Antwort – ob jemand die Lichter lenken könne.
Verua runzelte die Stirn, als wären die Worte in ihrem Innern unklar. Doch plötzlich riss sie die Augen weit auf, und für einen Moment glaubte Divya, das Gift würdenachträglich doch noch seine tödliche Wirkung entfalten. Veruas Mund öffnete sich wie zum Schrei, aber stattdessen sprudelte aus ihr schnell und hastig hervor: »Drei können es, aber einer von ihnen quält uns.
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