Messertänzerin
Er zwingt Tausende Lichter , den Glauben der Menschen zu lenken.«
Divya horchte auf. Das war ausnahmsweise nicht die ganz penible Antwort auf die Frage. Es klang eher wie eine spontane Eingebung. Oder wie ein Hilfeschrei von der anderen Seite.
Genauso abrupt, wie Verua hellwach gewirkt hatte, sank sie nun wieder in sich zusammen und schlief sofort ein, wie nach einer großen Anstrengung.
Eine Weile später saßen sie rund um das frisch entfachte Feuer, während eine Heilerin sich um Verua bemühte. Es tat Divya noch immer in der Seele weh, sie so hilflos daliegen zu sehen. Teile ihres Körpers wirkten wie gelähmt, und auch Keiroan warf ihr schmerzliche Blicke zu. Dennoch übernahm er seine Rolle als Oberhaupt und bat um Vorschläge. Einen Rat. Eine Idee.
»Kann es wahr sein, dass jemand die Lichter lenkt?«, fragte die Frau mit den vielen Armreifen.
»Sie sind naive Wesen«, sagte der ältere Mann, »und damit auch beeinflussbar. Gefährlich werden sie in dem Moment, in dem jemand begreift, dass sie ein gemeinsames Bewusstsein haben.«
Divya horchte auf und flüsterte: »Was bedeutet das?«
»Jemand!«, lachte Keiroan bitter auf, als hätte er sie nicht gehört. »Warum nennt ihr seinen Namen nicht? Warkan! Fürchtet ihr ihn wie einen Geist? Als könnte er uns hören? Wer hat die Silberplatten auf unsere Mauern schlagen lassen, damit die Lichter uns fernbleiben? Wer hat dem Volkerzählt, es dürfe diese Wesen nicht mehr anlocken, weil sie gefährlich sind?« Er schlug sich mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. »Warkan!«
Divya legte ihre Hand auf seine. »Was war das mit dem gemeinsamen Bewusstsein?«
Keiroan bemühte sich, seine Gefühle in den Griff zu bekommen.
»Die Lichter können sich über weite Entfernungen hinweg verständigen, sie wissen immer, was die anderen gerade tun. Und wenn sie sich zusammenschließen, sind sie keine Individuen mehr, sondern ein einziges Wesen. Zusammen können sie sehr stark sein, sicherlich sogar den Willen von Menschen und Tieren beugen. Von allein würden sie auf diese Idee niemals kommen, aber … wenn einer sie benutzt, um den Willen anderer zu unterwerfen, sind sie eine unglaubliche Gefahr.«
Divya krallte ihre Fingernägel in den sandigen Boden. »Das würde erklären, warum die Menschen tun, was Warkan befiehlt, ohne Protest gegen seine harten Vorschriften.«
«Er kann sagen, was er will«, nickte die Frau mit den Armreifen mit verzweifeltem Gesicht. »Die Lichter sorgen dafür, dass jeder ihm glaubt.«
Keiroan zuckte mit den Schultern. »Fast jeder. Wenn es Rebellen in der Stadt gibt, dann gibt es vermutlich Menschen, die schwerer zu beeinflussen sind als andere.«
»Schön, aber was interessieren uns die Städter?«, warf der jüngere Mann ein. »Jetzt müssen wir erst einmal an uns denken. Wir müssen unsere Flucht planen, und zwar viel schneller, als wir dachten.«
»Aber das ist zu gefährlich!«, wandte die alte Frau ein.
»Gefährlicher, als hier zu verdursten?«, stieß Keiroan hervor.
Divya kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe. »Erinnere dich, was die Lichter gesagt haben: ›Frei sein könnt ihr nur im Bunde.‹«
»Ja!«, wehrte Keiroan ärgerlich ab. »Die Lichter sind immer sehr harmoniebedürftig in ihren Prophezeiungen, sie mögen recht haben, dass wir ganz fest zusammenhalten müssen. Aber …!«
In diesem Moment stöhnte Verua auf und hob den Kopf. Vorsichtig stützte sie sich seitlich auf einen Arm, sodass sie die anderen ansehen konnte.
»Divya hat verstanden, was sie meinten. Nicht wahr? Wir müssen uns verbünden. Allein haben wir keine Chance.«
»Mit wem? Mit den Städtern? Sollen wir sie vielleicht erst von Warkan befreien, bevor wir unser Lager verlassen?«, knurrte Keiroan verärgert. Dann berührte er sanft Veruas Schulter und wollte sie wieder dazu bringen, sich hinzulegen, aber sie wehrte sich.
»Nein, du Dickkopf! Mit den einzigen Menschen, die Warkans Bann nicht erliegen, weil ihr Innerstes sich gegen die Lichter wehren kann!«
Keiroan starrte sie eine Weile an, dann wandte er den Blick ins Feuer, als könnte er darin die Zukunft sehen.
»Du bist verrückt!«
Brücken
Die Rückkehr in die Stadt war nicht so leicht, wie Divya es sich vorgestellt hatte. Noch immer im Schutz der Dunkelheit hatte sie sich auf die Mauer des Tassari-Lagers stellen wollen, um ihr Seil nach oben zu werfen und daran emporzuklettern. Aber sie musste feststellen, dass ausgerechnet an diesem Abschnitt die meisten Wachen postiert waren.
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