Messertänzerin
Moment, als sie über eine Gasse sprang, wurde die Tür zum Dach aufgestoßen. Und fast gleichzeitig wurde auch die Tür des Nachbarhauses aufgestoßen. Sie erwarteten sie! Divya rannte, so schnell sie konnte, an ihnen vorbei und duckte sich instinktiv, als sie an den Schritten eines Wächters hinter sich hörte, dass er soeben ausgeholt hatte, um eine Lanze zu werfen. Ganz knapp verfehlte das Metall ihre Schulter, und die Panik ließ sie noch schneller werden, über das nächste Dach und das übernächste springen – weiter, als sie je gesprungen war!
Am Abend schmerzten ihre Fußgelenke wie noch nie nach ihren Ausflügen über die Dächer. Viermal waren ihre Auftritte vom gleichen Erfolg gekrönt gewesen: Die Leute auf den Märkten zweifelten an ihren Worten, hatten Angst, in ihrer Nähe gesehen zu werden, und einige riefen sogar etwas von »Fälschung« und »Betrug«. Müde und erschöpft sank sie auf das Dach des Hauses, in dem sie sich vor dem Attentat versteckt hatte. Roc erwartete sie bereits auf der obersten Stufe der Treppe. In seinem Blick spiegelte sich ihre Enttäuschung wider.
»Ich war heute auf dem Markt«, nickte er, bevor sie etwas sagen konnte. »Ein gut gemeinter Plan, der aber scheitern musste.«
»›Naiv‹ hast du ihn das letzte Mal genannt«, murmelte Divya. »Und du hast recht gehabt.«
Roc schüttelte den Kopf und legte eine Hand auf ihre Schulter.
»Rebellen sind nicht naiv, sondern idealistisch.« Er lächelte. »Ich habe dich bei unserer ersten Begegnung falscheingeschätzt. Du bist nicht zögerlich, du kämpfst nur mit anderen Mitteln als Leasar. Die Leute mögen dich. Auch wenn sie dir nicht zuhören wollen.«
Divya verzog die Mundwinkel zu einem schrägen Lächeln.
»Noch nicht! Aber ich gebe nicht so schnell auf.«
Auf der Treppe nach unten konnten sie gedämpfte Stimmen hören, die aufgeregt durcheinanderredeten. Und als sie den Salon betraten, sah Divya zum ersten Mal mehr als eine Handvoll Rebellen. Bestimmt dreißig Männer und Frauen hatten sich versammelt und standen in einem Kreis um ein Sofa herum. Divya entdeckte in einer Ecke das Paar, das ihnen in der letzten Nacht geholfen hatte, und winkte den beiden dankbar zu.
Die Stimmen verstummten, kaum dass sie den Raum betreten hatte, und die Rebellen machten Platz, damit die Neuankömmlinge zur Mitte hindurchgehen konnten. Wie vom Blitz getroffen erkannte Divya die Person, die auf dem Sofa neben Jidaho saß. In ihren Händen hielt sie geziert eine Tasse Tee, feinstes Porzellan, und ihre Haltung war tadellos wie immer.
»Willst du mich nicht begrüßen, wie du es gelernt hast?«, fragte Maita mit einem schmalen Lächeln.
»Du verwechselst mich mit deinen Schülerinnen. Du hast mir beigebracht, einen Raum stumm und unauffällig zu betreten«, erwiderte Divya. »Und das letzte Mal hast du gesagt, ich soll verschwinden.«
»Was hast du erwartet?«, fragte Maita und stand in einer fließenden Bewegung auf, in der sie auch ihre Tasse lautlos abstellte. »Du wusstest, dass es keinen Weg zurück gibt. Dein ganzes Leben lang habe ich das Risiko auf michgenommen, für dich zu lügen, weil ich hoffte, dass du eines Tages Großes vollbringst. Aber was soll ich nun mit dir? Eine gescheiterte Attentäterin in meinem Haus verstecken? Für Versager habe ich keine Verwendung.«
»Maita!«, fuhr Jidaho mit gerunzelter Stirn dazwischen.
Divya ging mit gesenktem Kopf auf Maita zu, als könnte sie sich nicht entscheiden, ob sie sich vor ihr verneigen oder sie schlagen wollte.
»Dank willst du? Dafür, dass du mich gekauft hast? Ich habe jahrelang für dich geschuftet, die Schuld ist abgegolten! Auch ohne dass ich für dich morde.«
Maita stemmte die Hände in die Hüften. »Nichts ist abgegolten. Für deine Arbeit habe ich dich jahrelang ernährt und gekleidet.«
»Was immer du tust …«, erwiderte Divya, »du tust es immer mit Absicht und Bedacht. Du nimmst mehr, als du gibst. So wie du für die Rebellen spionierst – auf Kosten der Mädchen, die dir anvertraut werden! Du erzählst ihnen Märchen über diese dummen Sorgensteine, von denen sie glauben, dass sie ihnen das Leben erleichtern. Ein Leben an der Seite alter, geifernder Männer, die du danach aussuchst, wie wichtig sie für dich sind. Deine kostbaren Informationen haben einen hohen Preis!«
Maita war rot angelaufen und hob zornig den Kopf. » Du erlaubst dir ein Urteil über mich? Du hast nicht die geringste Ahnung, was ich alles für diese Stadt getan habe und wer
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