Messewalzer
bemühte sich, nicht an seine Kopfschmerzen zu denken, was ihm dank der Tabletten auch einigermaßen gelang. Er blätterte langsam in der Akte und versuchte, sich zu konzentrieren.
»Gestern Abend um genau 20 Uhr 20 wurde der Schriftsteller Willi Lachmann in der Sächsischen Pfeifenstube im Petersteinweg erschossen. Der Schuss wurde von der gegenüberliegenden Straßenseite abgegeben. Der Täter verwendete ein Präzisionsgewehr, das überwiegend im militärischen Bereich und bei der Polizeiarbeit eingesetzt wird. Die Kugel durchschlug die Schaufensterscheibe und traf Herrn Lachmann im Genick, er war sofort tot. Wir haben daraufhin die Wohnung des Opfers durchsucht und konnten feststellen, dass sie aufgebrochen war. Ob etwas entwendet wurde, können wir noch nicht sagen. Wir sind in dieser Frage auf Informationen der Lebensgefährtin des Autors angewiesen, die jedoch noch nicht ansprechbar ist, weil sie immer noch unter Schock steht. Ich darf Sie bitten, hierauf bei der Ausübung Ihrer Arbeit Rücksicht zu nehmen.« Kroll sah in die Menge. »Das war’s von meiner Seite erst einmal. Haben Sie noch Fragen?«
»Der Schuss war sehr präzise! Gehen Sie von einem Profikiller aus?«
»Wir gehen von einem geübten Schützen aus.«
»Hatte der Mord etwas mit der Arbeit Lachmanns zu tun?«
»Das können wir noch nicht sagen.«
»Wurden Wertsachen entwendet?«
»Der abschließende Bericht der Spurensicherung liegt noch nicht vor.«
»In welche Richtung ermitteln Sie?«
»In alle Richtungen!«
Plötzlich kehrte Ruhe ein. Die Journalisten schienen sich damit abgefunden zu haben, dass zumindest am heutigen Tage keine weiteren Informationen zu erlangen waren und waren gedanklich bereits damit beschäftigt, die spärlichen Informationen von Kroll zu einem spannenden Artikel oder einem interessanten Bericht zu verarbeiten.
In der ersten Reihe meldete sich Heiner Porwall von der Morgenpost, der in der Branche nur Pottwal genannt wurde. Sein Äußeres war abstoßend: Er war extrem übergewichtig, seine schwarzen Haare klebten an Kopfhaut und Schläfe und wurden durch eine Mischung aus Fett und Schweiß fixiert. Sein spärlicher und lückenhafter Bartwuchs legte rote Ekzeme im Gesicht frei, die wohl auf fehlende Hygiene zurückzuführen waren. Seine Zähne waren braun und krumm, er roch nicht nur aus dem Mund, sondern aus allen Poren. Daher war es auch kein Zufall, dass trotz des überfüllten Saales die beiden Plätze links und rechts neben ihm frei waren.
»Ich hätte da mal eine Frage an den Staatsanwalt!«
Reis sah in seine Richtung.
»Wäre es nicht sinnvoll gewesen, wenn der Leiter der Ermittlungen sich den Tatort einmal angesehen hätte?«
Der Staatsanwalt blieb gelassen. »Herr Hauptkommissar Kroll hatte am gestrigen Tage noch Urlaub und hielt sich daher leider nicht in Leipzig auf.«
Pottwal sah sich um, um sich zu vergewissern, dass er die ungeteilte Aufmerksamkeit genoss. »Das ist aber eigenartig! Nach meinen Informationen saß er gestern bis ein Uhr im McCormacks und hat anschließend das Taxi über die Motorhaube bestiegen!«
Im Saal brach ein ohrenbetäubendes Gelächter aus.
»Wenn mir dieses fette Schwein das nächste Mal über den Weg läuft, bringe ich es eigenhändig um! Aber besser mit einer Zange, weil man diesen stinkenden Bakterienberg nicht anfassen kann, ohne einen Seuchenalarm auszulösen! Der ist doch die personifizierte Schweinegrippe! Dem sind jetzt wohl alle Fettliposomen ins Gehirn gekrochen!«
Kroll beruhigte sich erst im Büro wieder, weil ihn Wiggins letztendlich mit dem Argument besänftigen konnte, dass die Journalisten jetzt sicherlich über wichtigere Dinge zu berichten hätten als über sein Trinkverhalten. Sie hofften beide, dass er recht behielt.
»Wir müssen unbedingt diese Liane Mühlenberg sprechen«, kam Kroll zurück zum Thema, »aber die ist ja nicht vernehmungsfähig!«
Wiggins dachte einen Moment nach. »Lass mich alleine zu ihr gehen. Schließlich sind wir befreundet. Ich werde das nicht als offizielle Vernehmung hinstellen, sondern als ganz normalen Krankenbesuch.«
Kroll fasste sich an die Stirn. »Scheiße, Wiggins! Ich hab ganz vergessen, dass du mit Lachmann befreundet warst. Tut mir leid. Wie kommst du denn überhaupt mit der Sache klar?«
Wiggins zuckte mit den Schultern. »Schwer zu sagen. Bisher hatte ich noch keine Zeit zum Nachdenken. Ich muss jetzt ohnehin versuchen, die Gefühle außen vor zu lassen. Sonst könnte ich den Fall doch gleich abgeben.
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