Messewalzer
Und das will ich ganz bestimmt nicht. Das bin ich Willi und Liane einfach schuldig.« Er griff nach seiner Jacke und ging zur Tür. »Und was machst du jetzt?«
»Ich gehe auf die Buchmesse!«
Kroll betrat das neue Messegelände durch den Haupteingang in der Glashalle. Diese überdimensional große Halle mit den nicht enden wollenden gläsernen Wänden und dem runden Dach bildete den Mittelpunkt des Leipziger Messegeländes. An den Seiten der oberen Etage befanden sich die Zugänge zu den fünf eigentlichen Messehallen. In der Glashalle waren während der Buchmesse keine Verlage angesiedelt, sondern sie wurde für kulinarische Genüsse, Veranstaltungen von Funk und Fernsehen sowie kleinere Programme von Ausstellern genutzt.
Schon auf dem Weg zum Messegelände merkte Kroll, dass die Buchmesse auch in diesem Jahr gut besucht war. Er reihte sich in den Besucherstrom ein, der sich an der rechten Seite der Halle in Richtung des anderen Endes bewegte. Er wusste, dass sich der Verlag des Autors, der Zeitraub-Verlag mit Sitz in München, in der Messehalle fünf befand. Er fuhr die Rolltreppe zur Gangway hoch und bog rechts ab, immer den anderen hinterher. Als er in der gesuchten Messehalle angekommen war, betrachtete er noch einmal seinen Plan. Der Stand von Zeitraub war eigentlich ganz einfach zu erreichen. Links an der Wand entlang und dann zweiter Gang rechts. Zur genaueren Identifizierung des Verlagsstandortes brauchte Kroll seinen Plan allerdings nicht mehr. Es war nämlich genau das eingetreten, was er befürchtet hatte: Sämtliche Medienvertreter, die schon bei der Pressekonferenz im Präsidium anwesend waren, hatten sich offensichtlich dazu entschlossen, den Rest des Tages am Stand des ZeitraubVerlages verbringen zu wollen. Die Reporter und Journalisten standen mindestens in Fünferreihen vor der Ausstellungsfläche, und Kroll konnte erkennen, dass der Stand mit Scheinwerfern ausgeleuchtet wurde.
Der Hauptkommissar schlängelte sich an der Meute vorbei und erreichte die Rückseite des Messestandes, eine Wand aus Pressspanplatten. Zwischen dem Ende der Holzkonstruktion und der seitlichen Standbegrenzung machte er einen circa 40 Zentimeter breiten Spalt ausfindig, der nur mit einem gespannten Tuch verschlossen war. Kroll löste die seitliche Befestigung des Tuches und betrat die Ausstellungsfläche. Sofort wurde er vom Licht der Scheinwerfer geblendet. Eine junge Dame im Hosenanzug und mit strengem Seitenscheitel kam mit erbostem Gesichtsausdruck auf ihn zu. Er hielt ihr seinen Ausweis direkt vor die Augen, was dazu führte, dass sie sich zögerlich wieder von ihm abwandte und er die Szenerie aus nächster Nähe beobachten konnte.
Der Geschäftsführer des Zeitraub-Verlages, Elmar Gutbrot, saß lässig zurückgelehnt in einem Regiestuhl und stellte sich geduldig den Fragen des Reporters. Die Kamera, die ständig vor seinem Gesicht herumfuhr, schien ihn nicht im Geringsten zu stören. Obwohl Gutbrot die 50 noch nicht lange überschritten hatte, schien alles an ihm grau zu sein: graue nach hinten geglättete Haare, grauer gepflegter Schnauzer, dunkelgraues Brillengestell, grauer Anzug. Gutbrot war erkennbar darum bemüht, einen sehr gepflegten und korrekten Eindruck zu vermitteln. Kroll war der Meinung, dass er dabei übers Ziel hinausgeschossen war und eher steril wirkte.
Der Kommissar wollte die Aufnahme nicht stören. Er hielt sich abwartend in seiner Ecke auf und beobachtete das Treiben vor ihm. Verstehen konnte er nur Bruchstücke, das war ihm aber auch egal, er konnte erahnen, was Inhalt des Gespräches war.
Es dauerte noch ungefähr zehn Minuten, bis der Reporter seinem Kameramann ein Zeichen gab, dass das Interview beendet sei. Kroll nutzte den Moment, um sich Gutbrot zu nähern. Er zeigte ihm seinen Ausweis und bat um ein Gespräch.
»Hallo, Kroll! Nicht mehr auf der Motorhaube?«, dröhnte es aus der Menge.
Es war offensichtlich, dass Gutbrot den Kommentar nicht einordnen konnte und das Gelächter hielt sich zu Krolls Beruhigung in Grenzen.
Elmar Gutbrot betrachtete Krolls Ausweis im Stile eines Grenzsoldaten. Dann gab er ihm das Papier zurück und sah ihn bedeutungsvoll an. »Herr Hauptkommissar, Ihnen dürfte nicht entgangen sein, dass der tragische Tod von Willi Lachmann, den wir als sein Verlag natürlich sehr bedauern, ein außerordentlich großes Medieninteresse hervorgerufen hat! Ich bin der Auffassung, die Öffentlichkeit, die internationale Öffentlichkeit, sollte jetzt ihrem Recht, ihrem
Weitere Kostenlose Bücher