Messias-Maschine: Roman (German Edition)
kennenzulernen.«
Ich hatte eigentlich nicht die geringste Lust, aber andererseits mochte ich Marija sehr und wollte sie nicht vor den Kopf stoßen.
»Nur kurz«, sagte ich. »Ich habe einen Haufen Arbeit vor mir. Ich brauche wirklich meinen Schlaf.«
Dann errötete ich, wie meistens, wenn ich mit ihr sprach. Und so ging Marija zwischen Da Vera und mir runter in die Bar, Arm in Arm mit uns beiden: dem weltgewandten Brasilianer und dem wunderlichen, steifen Übersetzer, der zu Hause bei seiner Mutter wohnte und der wie erstarrt vor Unsicherheit und Angst und schlechtem Gewissen war.
Ja, ihr Arm in meinem war die intimste Berührung, die mir jemals von einer Frau meines Alters zuteilgeworden war. Damit meine ich natürlich: von einer echten Frau.
Alle kannten sich. Ihr Umgang miteinander und ihre gemeinsamen Gewohnheiten hatten sich eingeschliffen. Sie alle wussten, wer was trank, wie viele Schüsseln Kartoffelchips sie bestellen mussten, wie sie die Rechnung aufteilten. Sie hatten ihre Privatwitze, sie wussten Dinge aus dem Leben der anderen. Alle hatten wohlbekannte Marotten, mit denen man sie aufziehen konnte, und kannten Partytricks, die die anderen mit Gelächter, Jubel oder gutmütigem Seufzen quittierten. Kurz gesagt wandelte sich die Holistische Liga im New Orleans von einem Debattierklub zum Freundeskreis.
Und obwohl ich bei ihren Treffen gewesen war, gehörte ich nicht zu diesem Kreis. Obwohl ich mit ihnen am runden Tisch saß, blieb ich außen vor. Ich kam mir wenig reizvoll und hohl vor, und in meinem Elend redete ich mir ein, dass ich diese Leute ohnehin nicht mochte. Ich sagte mir, dass sie oberflächlich und selbstgefällig wären, mit ihrem kleinen Debattierklub und ihren anschließenden Besäufnissen, bei denen jeder von ihnen seine zugewiesene, klischeehafte Rolle spielte.
Aber Marija war nett zu mir. Sie wandte sich von Paul Da Vera ab, während er gerade unterhaltsam in die Runde sprach, und versuchte, eine Unterhaltung mit mir anzufangen. Und plötzlich fiel mir ein, dass ich ihr sehr wohl etwas zu erzählen hatte, etwas wirklich Interessantes, das ich mir extra für sie aufgehoben hatte.
»Ich wollte dir noch sagen«, erklärte ich, »dass ich diese Roboterhauswärtin gefunden habe.«
»Hauswärtin? Du meinst doch nicht Shirley?«
»Doch, oder zumindest einen Roboter genau ihres Typs. Er hing in Ioannina an einem Galgen.«
»Ist das dein Ernst?«
»Ja, Shirley und etwa ein halbes Dutzend anderer Roboter. Ein paar Kinder haben sie für Zielübungen benutzt.«
Marija war beeindruckt. Sie stieß Da Vera an.
»Paul, hör dir das mal an!«
Also hörte Paul es sich an. Zu meinem Erschrecken verstummten auch die übrigen mehr als zwanzig Anwesenden und hörten mir zu, als ich die Geschichte von dem Galgen, den mit Steinen werfenden Kindern und den abgebrochenen Gliedmaßen auf dem Boden erzählte und dabei auch Taxifahrer Manolis und seine Worte über »Dämonen« erwähnte.
Da Vera schüttelte den Kopf.
»Erstaunlich. Wirklich erstaunlich. Das bestätigt nur, was du mir erzählt hast, Marija.«
Marija nickte.
»Meine Firma steht ziemlich unter Druck, was die Probleme mit den selbstentwickelnden Robotern betrifft. Es war zwar schon immer bekannt, dass sie auf die eine oder andere Art aus der Spur geraten können, wenn man sie zu lange sich selbst überlässt, aber das geschieht nun sehr viel schneller als erwartet. Und das Seltsame ist, dass die Roboter normalerweise einfach weggehen, wenn es passiert. Die meisten finden wir natürlich wieder, aber ein paar von ihnen tauchen nicht wieder auf. Jetzt wissen wir wohl, warum.«
Paul lachte. »Ist das nicht wunderbar? Man fertigt sie eigens an, um irrationale menschliche Wesen zu ersetzen, und sie entwickeln ihre eigene Art von Irrationalität. Darin kommt alles zum Ausdruck, wovon wir geredet haben! Man kann das Verhalten des Ganzen nicht aus den Teilen ableiten!«
»Manche Leute sind der Meinung, dass man sie regelmäßig von Grund auf neu programmieren sollte – eher alle sechs Monate als nur alle fünf Jahre«, sagte Marija. »Aber die Firma wehrt sich dagegen, weil das dem ganzen Sinn und Zweck der Selbstentwicklung zuwiderläuft. Gerade wenn die Roboter gut darin werden, Menschen nachzuahmen, müsste man alles auslöschen, was sie gelernt haben, und sie würden wieder von vorne anfangen.«
Marija überlegte.
»Aber warum gehen sie gerade dorthin? «, platzte sie dann heraus. »Denkt doch noch mal, wie … wie entschlossen man
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