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Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition)

Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Malzieu
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inmitten von berstenden Plastikbechern. Die Neonlampen sind grell wie in einem Leichenschauhaus. Eine Schar Ektoplasma-Gespenster in weißen Kitteln lungert vor meiner Zimmertür herum. Der Servierwagen gewinnt an Geschwindigkeit. Ich versuche, mit meinen Bauchmuskeln in Verbindung zu treten, aber sie antworten mir, sie hätten ihr Sixpack schon lange geleert. Teller fallen klappernd von dem Servierwagen. Ich schlage mit den Armen und schreie wie ein Nachtvogel, der Boden rast unter meinem Rennwagen hinweg. Die Krankenschwesternschar kommt näher, die Kugelschreiber in ihren Kitteltaschen recken sich mir kampflustig entgegen. Jetzt habe ich sie fast erreicht. Ich muss abheben, bevor ich eine von ihnen umfahre. Ich denke an Endorphina, an unser Geheimnis, an die Metamorphose und daran, dass ich möglicherweise Vater werde.
    Ich bin ein altes Kind. Vielleicht sterbe ich, bevor mein Kind geboren wird, aber im Moment fühle ich mich lebendiger denn je. Mein Oberkörper löst sich vom Servierwagen. Ich bin so high, dass ich durch die Decke fliegen könnte. Stattdessen bekomme ich einen Schlag vor die Stirn. Ich habe wohl vergessen zu singen.
    Stimmengewirr. Ein paar Wörter stechen hervor, ernste, kalte Wörter. Jemand ist verletzt. Verschwommen sehe ich Endorphina in ihrem Arztkostüm, sie diskutiert mit ihren Schergen. Neben ihnen liegt eine alte Dame auf einer Trage und stöhnt. Meine Flügel sind schwer. Ich liege am Boden, trotzdem ist mir schwindelig. Die Frau fängt an zu schreien wie eine Besessene.
    Unter den strafenden Blicken der Ektoplasma-Gespenster humple ich durch den Flur. Verschämt bemühe ich mich, meine Blöße zu bedecken.
    »Wir müssen Sie verlegen, Herr Cloudman.«
    Endorphina kommt auf mich zu. Braune Locken wallen über ihre Vogelschultern. Ich kann an nichts anderes denken, als dass wir miteinander geschlafen haben.
    »Wir bringen Sie in ein Isolierzimmer, zu Ihrem Besten und zu dem Ihrer Mitpatienten. Pauline hilft Ihnen, ihre Sachen zu packen.«
    Die Worte knallen wie Ohrfeigen. Eiskalte Augen, Hundertachtzig-Grad-Drehung, ein Luftzug, dann Leere. Ich fühle mich verraten, von dem Vogelweibchen und von der Menschenfrau. Sie lügt mit der Eleganz einer Zauberkünstlerin. Hinter mir schreit die Alte auf ihrer Trage wie Janis Joplin. Ich wage nicht, mich umzudrehen. Es ist kein guter Moment, um hysterisch loszulachen.
    »Sie haben Madame Sérault mit dem Servierwagen angefahren und ihr ein Schienbein gebrochen«, faucht ein Gespenst in Gesundheitsschuhen.
    Schuldbewusst versuche ich, die alte Dame zu fragen, wie es ihr geht, aber die Gesundheitsschuhträgerin versperrt mir den Weg.
    »Finden Sie nicht, dass Sie genug Schaden angerichtet haben? Lassen Sie Madame Sérault in Ruhe!«
    Ihre Stimme bebt vor moralischer Empörung, sie genießt es sichtlich, mich herunterzuputzen. Ich schweige. Die Alte kreischt weiter.
    Mit hängenden Schultern sammle ich meine herumliegenden Federn ein und stecke sie in die Taschen meiner Schlafanzugjacke. Manche gehören Endorphina.
    »Sie haben auch noch welche im Haar!«, ruft eine Krankenschwester kichernd.
    Weil mir das alles furchtbar peinlich ist, sind meine Bewegungen noch unbeholfener als sonst, ich verliere die Hälfte meines jämmerlichen Schatzes. Ohne es zu ahnen, habe ich soeben mit zwei Frauen geschlafen, und jetzt verachten mich vermutlich beide. Ich weiß von ihrem zweifachen Ich, aber sie weiß nicht, dass ich es weiß, und das ist ein Problem. Ich sitze in der Falle. Aus dem Isolationszimmer komme ich nicht mehr heraus. Keine nächtlichen Spaziergänge auf dem Dach mehr, keine Besuche beim Mondkind.
    Erst lassen mich die Ektoplasma-Gespenster in meinem Zimmer allein, damit ich mich in Ruhe anziehen und Angst haben kann, dann bringen sie mich zu meiner Zelle. Ich frage mich, wer sie unter ihrer Verkleidung wirklich sind. Manche sind sanft, selbst wenn sie mir eine Spritze geben, andere haben stechende Blicke, die schmerzhafter sind als jede Nadel.
    »Das ist Ihr neues Nest, Herr Cloudman. Hier kann Ihnen kein Keim was anhaben«, sagt Pauline und stößt die Tür zu meiner Isolationskammer auf.
    Ich lächle traurig. Die Vogelfrau hat das Zimmer liebevoll für mich hergerichtet, überall liegen Federn herum. Mein Bett verschwindet unter einer Plastikplane, ich komme mir vor wie ein Truthahn in Frischhaltefolie.
    Die Zeit vergeht immer langsamer, das Lachen der Roten Bete hallt in meinem Kopf wider. Jede Bewegung löst Plastikknistern aus. Mein Glück

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