Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition)
ertastet ihren Gaumen und wird von einer nach Orangenblüten schmeckenden Zunge umschlungen. Ihr Po schwingt neben dem Klavier hin und her, die Tasten senken sich von selbst. Erstes Stöhnen. Sanftes Reiben. Ihre Pupillen weiten sich und beginnen zu glänzen. Vor Erregung rutscht mir der Magen in die Kniekehlen. Ich hebe ab und halte mich an ihren Flügeln fest, um nicht davonzuschweben. Unser Rhythmus wird schneller, die Sterne stoßen aneinander, Daunen wirbeln zum Himmel auf, wir wälzen uns über den Federnteppich. Dann vollführt sie einen erstaunlichen Zaubertrick mit den Hüften. Dunkelrote Hexerei. Mir ist, als verwandle ich mich jetzt schon. Unser Wind wird zum Sturm, unsere Flügel knattern wie die Segel eines Viermasters. Beiderseitige Ekstase. Selbst der Mond errötet. Vierundzwanzig Sekunden lang besteht die Welt aus nichts als Federn. Dann sinken sie wie Schneeflocken zu Boden.
»Du musst zurück auf dein Zimmer, sonst verwandelt dich eine böse Fee noch in einen Frosch«, flüstert Endorphina.
»Willst du nicht noch einmal gute Fee für mich spielen?«
»Es ist sieben vor sechs, Tom!«
»Schon gut, ich gehe ja …«
»Hast du nicht etwas vergessen?«
Ich küsse sie auf die Lippen wie ein Teenager, der nichts mit seiner Zunge anzufangen weiß. Endorphina stößt ein glockenhelles Lachen aus.
Ich steige durch die Falltür, die meine beiden Welten voneinander trennt. Ihr Lachen klingt mir noch in den Ohren. Drei Kratzer zieren meine linke Schulter, aus einem erotischen Kampf mit einer Vogelfrau geht man nicht unversehrt hervor. Ich spüre einen Luftzug an meinen Oberschenkeln und schlagartig wird mir klar, dass ich meine Schlafanzughose auf dem Dach vergessen habe. Natürlich könnte ich die Flügel als Lendenschurz benutzen und inmitten der Frühstückstabletts eine flotte Sohle aufs Parkett legen: Ich würde wie Frank Sinatra Fly Me to the Moon singen, einen Stepptanz aufführen und mir ein Musical für Möchtegernnudisten ausdenken.
Mein Gehirn kommt wieder so weit zur Vernunft, dass ich beschließe, mir die Hose wiederzuholen. Hastig öffne ich die Falltür. Auf der Uhr in der Voliere ist es drei Minuten vor sechs. Meine Schlafanzughose liegt auf dem Bett aus Federn. Direkt daneben ist eine Metamorphose im Gang. Die Vogelfrau, mit der ich soeben ein paar sehr intime Momente verbracht habe, verliert ihr Gefieder. Ein paar Vögel beginnen lautstark zu zwitschern, die Idioten verpfeifen mich noch!
Zwei Minuten vor sechs. Die Federn an ihren Hüften ziehen sich zurück. Ihre Brüste, die meinen Fingerspitzen wohlbekannt sind, recken sich wie Pickelhauben dem Mond entgegen.
Eine Minute vor sechs. Sie ist jetzt von den Schultern bis zu den schmalen Füßen nackt. Nur der Kopf ist noch gefiedert. Ein Teil von mir will so schnell wie möglich in mein Bett zurück, aber ein anderer, neugierigerer Teil will auf der Schwelle zum Himmel bleiben. Endorphina zündet sich eine Camel light an, setzt sich auf den Rand des Daches und lässt die Beine baumeln. Wenn ich warte, bis sie ihre Kippe aufgeraucht hat, habe ich ein Problem.
Sechs Uhr. Die monotone Symphonie der Digitalwecker hallt durch die Krankenhausflure und kriecht die Metallleiter hoch wie eine Schlingpflanze. Ich rühre mich nicht vom Fleck, ich will unbedingt das Menschengesicht der Vogelfrau sehen. Sie drückt ihre Zigarette in einem Porzellanaschenbecher aus, während die Sterne am Himmel verblassen. Die Federn auf ihrem Gesicht verschmelzen eine nach der anderen mit der Haut. Sie schließt die Augen, Nasenspitze und Wangen kommen zum Vorschein. Endorphinas ganzer Körper zittert, ihre Lider sind immer noch geschlossen. Die Hose ist mir mittlerweile völlig egal. Eine Kraft zieht mich zum Himmel, eine andere drückt mich zu Boden. Im nächsten Moment kommt ihr schlanker Hals zum Vorschein. Das Kinn muss sich auch nicht schämen. Ihre großen Augen schimmern, das braune Haar flutet über den Rücken.
Zwei Minuten nach sechs. Ich habe mit meiner Ärztin gevögelt.
ie Nacht hat ihren samtenen Mantel abgestreift und ihn über die Wäscheleine des Horizonts gehängt. Es ist drei Minuten nach sechs, ich trage immer noch keine Hose. Ich laufe die Treppe runter wie ein gut gelaunter Todeskandidat. Im Flur streckt mir ein Servierwagen seine metallenen Arme entgegen. Ich nehme Anlauf, meine eingerosteten Gelenke knacken wie die eines Roboters. Unter meinen Füßen wird das Linoleum zur Startbahn. Ich werfe mich auf den Servierwagen und lande
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