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Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition)

Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Malzieu
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die Federn vom Dach, um dich zu mir zu locken.
    Die Männer hatten schon immer Angst vor mir. Kein Wunder, eine Vogelfrau mit unerfülltem Kinderwunsch. Ich wollte dich verführen, ohne dass mein Urteil als Ärztin darunter leidet. Tagsüber unterdrückte ich meine Gefühle und ließ ihnen nachts dafür umso freieren Lauf. Tom, ich möchte dein Traum und deine Wirklichkeit sein, ich will dir das Leben retten, und ich will, dass du der Vater meines Kindes wirst. Vertrau mir, vertrau uns, und vertrau dir selbst. Gemeinsam können wir es schaffen.
    Sicher hast du bereits die Kamera im Karton gefunden. Mein sehr großer Großvater hat sie erfunden. Es ist keine gewöhnliche Kamera, es ist ein Dreamoskop. Damit kann man Träume und Gespenster fotografieren, aber noch wichtiger ist, dass es Hoffnung macht, und Hoffnung ist das beste Heilmittel.
    Zu seinen Lebzeiten hielten alle meinen sehr großen Großvater für einen Hexer oder Verrückten – und das war er auch. Er wohnte in einem Haus aus Büchern im tiefsten Schottland und bastelte den lieben langen Tag an seinen Erfindungen herum. Nachdem er ein Heulofon gebaut hatte – ein Gerät, mit dem man die Klagelaute von Gespenstern aufnehmen kann –, verfiel er auf die Idee, die Gespenster zu fotografieren. Nach jahrelangem Herumexperimentieren entwickelte er einen Ektaplasma-Film, der das Licht aus dem Jenseits einfangen kann. Indem du deine Geister fotografierst, verjagst du sie – und im Krankenhaus treiben Heerscharen von Gespenstern ihr Unwesen.
    Das Dreamoskop ist ein im wahrsten Sinne des Wortes fantastischer Apparat. Es beschleunigt die Metamorphose. Die Erfindungen meines sehr großen Großvaters mögen auf den ersten Blick merkwürdig erscheinen, aber das Dreamoskop hat mir in der Pubertät sehr geholfen, als ich mich in ein Ei zurückzog und später als Vogelfrau schlüpfte.
    Irgendwann entdeckte mein sehr großer Großvater eine weitere Eigenschaft des Ektaplasma-Films. Er hatte sich angewöhnt, seine schlafende Geliebte zu fotografieren, weil er von ihrem entspannten Gesicht fasziniert war. Eines Abends verwendete er versehentlich einen Ektaplasma-Film. Als er den Film entwickelte, war seine Überraschung groß: Auf den Fotos waren Träume abgebildet wie magische Tätowierungen. Als mein sehr großer Großvater seine Geliebte fotografierte, verewigte er auch ihre Träume. Es stellte sich heraus, dass der Ektaplasma-Film die Bilder unserer Träume einfängt. Auf diese Weise habe ich auch das Foto von dem Vogelmann aufgenommen. Ich musste nur dein Gesicht fotografieren, während du schliefst.
    Tom, ich werde alles dafür tun, dich da rauszuholen. Benutze in der Zwischenzeit so oft wie möglich das Dreamoskop. Es verleiht deinem Geist Flügel.
    Träum was Schönes. Vielleicht lasse ich dich bald meine Träume fotografieren.
    Deine Endorphina

urch die Ritze unter der Tür dringt fahles Neonlicht. Der Morgen ist auf dem Vormarsch. Ich habe kaum geschlafen, weil ich die ganze Nacht auf Gespensterjagd war, bewaffnet mit Endorphinas Fotoapparat. Nur die Rote Bete habe ich nicht aufs Bild bekommen. Sie zeigt sich zwar dem Computertomografen, aber die Krankheit ist viel zu real, um sich von einem Dreamoskop einfangen zu lassen. Sie attackiert mich so heftig, dass ich unwillkürlich nach dem Infusionsschlauch taste. Ich habe Angst. Selbst die Aussicht darauf, Vater zu werden, hilft mir nicht mehr. Noch nie hat mich die Rote Bete derart in die Enge getrieben. Sie bohrt mir Löcher in den Bauch. Der Schmerz ist unerträglich, ich wage nicht, mich zu rühren, und warte zitternd, dass er vergeht. Meine Lider sind schwere Samtvorhänge, ich habe kaum noch die Kraft, sie aufzuziehen.
    Plötzlich kitzelt mich etwas zwischen den Schulterblättern. Erst denke ich, ich hätte vergessen, meine Flügel auszuziehen, aber sie hängen ordentlich auf ihrem Bügel. Sind das etwa echte Federn? Verwandle ich mich in ein Küken? Ich streiche mir über die Unterarme, eine Welle der Euphorie erfasst mich.
    Eine in Frischhaltefolie eingewickelte Pauline betritt das Zimmer. Ich verkrieche mich unter der Decke. Hinter ihr kommt meine Ärztin durch die Tür, sie studiert meine Untersuchungsergebnisse und fragt, wie es mir geht. Der elastische Plastikanzug, der jeden Hautkontakt verhindert, steht ihr hervorragend. Als sie ans Bett tritt, komme ich aus meinem Versteck hervor. Ihre Finger schieben meinen Schlafanzugärmel hoch, um den Blutdruck zu messen. Sie blinzelt rasch und atmet schneller.

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