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Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition)

Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition)

Titel: Metamorphose am Rande des Himmels: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mathias Malzieu
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zu meinem Bett zu gelangen, aber meine Füße bleiben am Linoleum kleben. In meinem Kopf schneit es Fragen. Was wird aus mir, falls ich die Metamorphose überlebe? Werden die Leute mich mit dem gleichen verständnislosen Misstrauen ansehen wie jetzt schon manche Krankenschwestern? Werden sie schreien, wenn ich wie ein Urzeitsaurier an ihnen vorbeifliege? Werden sie mich jagen? Müssen wir unser Kind im Wald aufziehen? Und was ist, wenn mich eine Katze entdeckt?
    Es klopft an der Tür. Meine Ärztin tritt ein, zusammen mit einer Frau im blauen Sack und einem Mann mit Mundschutz. Ich kenne die beiden nicht und verkrieche mich unter der Decke. Sie unterhalten sich leise, ich beginne zu zittern. Meine Federn reiben an der Bettwäsche, das Geräusch ist so laut, dass ich nichts mehr höre. Ich versuche verzweifelt, keinen Pieps von mir zu geben. Darüber vergesse ich leider das Atmen. Die Frau sagt, man solle mich in eine Tierklinik verlegen. Endorphina protestiert. Mein Herz trommelt wie ein Duracell-Häschen. Der Mann erwidert, dass sie mich schon längst hätten vor die Tür setzen sollen, spätestens, als ich Madame Sérault das Schienbein zertrümmert habe. Die Frau sagt, sie kenne eine gute Tierklinik, ihr Hund sei immer sehr zufrieden. Meine Ärztin entgegnet, ich sei trotz meines Aussehens immer noch ein Mensch und müsse als solcher behandelt werden. Ich höre Schritte, jemand tritt an mein Bett. Endorphina kann es nicht sein, sie bewegt sich lautlos. Der Mann mit dem Mundschutz zieht mir mit einem Ruck die Decke weg. Obwohl mir nicht kalt ist, kann ich nicht aufhören zu zittern. Mehrere Krankenschwestern drängen sich in der offenen Tür. Der Mann sagt, man wisse nicht, wie sich die Krankheit entwickle, es bestehe die Gefahr, dass ich das Personal anstecke. Die Frau nickt zufrieden wie eine Alte, die ein Sudoku gelöst hat. Die Krankheit sei nicht ansteckend, versichert meine Ärztin. Der Mann erwidert, das könne sie nicht wissen, man dürfe kein Risiko eingehen. Meine Ärztin tritt an mein Bett und zieht die Decke über mich, als wäre ich schon tot. Sie gehen aus dem Zimmer.
    Mein Traum droht in einer Tierklinik zu enden, wo ich zwischen angefahrenen Katzen und gelähmten Hunden auf die Todesspritze warten werde. Mein Gehirn ist in Schockstarre, aber dann wechsle ich in den Wutmodus. Ich werde als Gespenst zurückkehren und euch in euren Träumen heimsuchen! Ich werde euch nachts die Decke wegziehen und das Kissen klauen!

o fest ich die Augen auch schließe, der Schlaf verweigert sich mir. Meine Tür quietscht leise. Die wenigen Muskeln, die ich noch habe, krampfen sich vor Schreck zusammen wie eine altersschwache Qualle. Jemand dringt in mein Zimmer ein. Es sind mehrere. Ich wage nicht, die Augen zu öffnen. Schritte knarren auf dem Linoleum. Ich kralle meine Füße in die Matratze. Ich denke an die Tierklinik und daran, was ich in den Nachrichten gehört habe: Es ist neuerdings schwer in Mode, Kranke und Alte wegzusperren. Ich konzentriere mich ganz darauf, meine eingeschlafenen Flügel zu entfalten. Nichts geschieht. Warmer Atem streicht mir über die Federn.
    »Tom … Tom …«, flüstert eine Stimme. Ich öffne die Augen und sehe Endorphina, Victor und Pauline am Fußende meines Nests stehen. Die Vogelfrau nimmt mich auf den Arm und redet beruhigend auf mich ein. Victor will mir über den Rücken streichen. Endorphina sagt, dass alles gut wird, sie nimmt mich mit in die Voliere und kümmert sich um mich. Pauline fügt hinzu: »Ich auch.« Als ich Endorphinas Federn spüre, komme ich endlich etwas zur Ruhe. Ihr Planetenbauch gibt mir das Gefühl, an einem sicheren Ort zu sein. An dem vertrauten Knarzen der Stufen und am schwachen Himmelsduft erkenne ich, dass wir die Treppe hochgehen.
    Die Nacht verdunkelt das Weltall wie die blauschwarze Wolke eines gigantischen Tintenfischs. Endorphina setzt mich in meinem Krankennest ab, wie sie es nennt. Ein Krankenbett habe ich jetzt nicht mehr, dafür aber immer noch den Tropf. Die drei Gesichter, die sich über mich beugen, beruhigen mich, ängstigen mich aber auch ein wenig. So muss sich ein Neugeborener fühlen. Pauline wünscht mir mit liebevoller Omastimme eine gute Nacht. Victor schläft auf ihrem Arm ein, und sie geht mit ihm davon. Endorphina legt sich mir gegenüber. Ich fühle mich winzig, sie ist mittlerweile viel zu groß für mich. Sie sagt, bald könne ich ohne Hilfe fliegen und alles werde gut. Sie spricht immer langsamer und leiser, und nach einer

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