Metanoia - Du sollst Buße tun (Kommissar Pfeifers zweiter Fall)
Melanies Gesichtsausdruck wirkte verwirrt und überrascht zugleich.
„Hätten Sie eine Minute Zeit für mich?“ Beate
lächelte freundlich.
Melanie hatte sich erstaunlich schnell wieder im
Griff. Ihr Gesicht wurde zu einer Maske der Freundlichkeit. Die steile
Sorgenfalte über der Nasenwurzel glättete sich prompt, ihre Mundwinkel zogen
sich nach oben zu einem vermeintlich charmanten Lächeln. Unverbindlich,
höflich. Dies bot Beate die Gelegenheit, für einen Moment einen Blick hinter
die Fassade der Unternehmersgattin und trauernden Mutter zu werfen und in
Melanie die erfolgreiche Geschäftsfrau zu sehen, die sie sicherlich einmal
gewesen war. Beate konnte sich diese wunderschöne Frau gut während eines Kundentreffens
vorstellen. Immer charmant lächelnd, unverbindlich, höflich, aber unnachgiebig,
wenn es darum ging, ihre Ziele zu erreichen.
„Natürlich. Bitte, treten Sie doch ein“, sagte
Melanie einen Hauch zu heiter und trat energisch zur Seite, um den Weg frei zu
machen.
Es war das erste Mal seit Beginn der Ermittlungen
heute, dass Beate sich in den Privaträumen der Bolanders aufhielt und sie war
einigermaßen überrascht über die unaufdringliche Eleganz dieses Hauses.
Neugierig ließ sie ihren Blick in alle Richtungen schweifen.
„Gefällt es Ihnen?“, fragte Melanie liebenswürdig.
„Ja. Sehr. Man merkt, dass sie Innenarchitektin
sind. So etwas könnte ich nie.“
„Ach, das denken alle. Dabei muss man sich einfach
nur darauf besinnen, was einem am besten gefällt und das dann auch umsetzen.
Aber bitte, folgen Sie mir. Am besten gehen wir in den Salon und nehmen dort
einen Kaffee ein. Sie sehen müde aus und können ihn wahrscheinlich genauso
dringend gebrauchen wie ich. Das Zeug, das mir der Notarzt heute Morgen verabreicht
hat, könnte vermutlich einen Elefanten umhauen. Ich habe mich schon gefragt, ob
ich jemals wieder richtig wach werden würde.“ Melanie lachte kurz auf und
redete dann in einem fort weiter. Es schien, als versuche sie damit ihre
Unsicherheit bezüglich der Geschehnisse am Morgen zu überspielen.
„Frau Bolander“, unterbrach Beate schließlich ihren
Redeschwall, „ich bin nicht hier, um Ihnen Vorhaltungen zu machen. Ich möchte
nur mit Ihnen reden. Ich muss wissen, was für ein Mensch Ihre Tochter war, mit
wem sie sich getroffen hat und solche Dinge.“ Die beiden Frauen sahen sich eine
Weile schweigend an. Bis Melanie schließlich seufzend nachgab. „Also schön.
Lassen Sie mich kurz telefonieren. Dann stehe ich Ihnen zur Verfügung.“
Während die Hausherrin telefonierte, ergriff Beate
die Gelegenheit und sah sich um. Der Salon entpuppte sich als gemütliches
Kaminzimmer, in dem trotz des schönen Wetters ein Feuer flackerte. Zu jeder
anderen Jahreszeit hätte Beate die anheimelnde Wärme und den warmen, rötlichen
Glanz genossen; doch jetzt begann sie bereits nach kurzer Zeit zu schwitzen und
zog ihren olivgrünen Parka aus.
Vor dem Kamin standen zwei Ohrensessel mit einem
antik aussehenden Tischchen in der Mitte. Wie aus Großmutters Zeiten und
teuer , vermutete sie. Ansonsten befand sich, außer einem kleinen
Servierwagen in der Ecke, nichts mehr in dem Raum. Keine Fotos, keine
privaten Dinge. Sehr schlau, liebe Melanie, sehr schlau.
Die Kommissarin nahm Platz und wartete. Als Melanie
kurz darauf mit dem Kaffee zurückkam, war diese sichtlich entspannter. „Was
wollen Sie wissen?“, fragte sie freundlich und stellte die zwei Tassen auf dem
Tisch ab.
Beate argwöhnte, dass sie gerade ihrem eigentlich
erwarteten Besucher abgesagt hatte. Zu gerne hätte sie gewusst, wer das war.
Fieberhaft überlegte sie, wie sie an diese Information gelangen konnte. Doch
zunächst ließ sie sich nichts anmerken. Sie beschloss, ihren Fragenkatalog der
Reihe nach durchzugehen und erst zum Schluss auf den ominösen Besucher zu
sprechen zu kommen.
„Zu Beginn würde mich interessieren, woher Sie
wussten, dass Silke die Ratten in der Küche ausgesetzt hat?“
„Eine. Es war nur eine Ratte. Na ja, sie hat kein
Geheimnis daraus gemacht, wenn Sie verstehen. Im Gegenteil, es schien ihr Spaß
zu machen, meinen Mann damit zu quälen, dass sie - ein kleiner, nichtssagender
Teenager - die Macht hatte, ihren großen und berühmten Vater in die Knie zu
zwingen.“
„Wann, sagten Sie, fing das an, dass Silke ihren
Mann so verachtete? Früher hatten sie doch ein gutes Verhältnis, oder?“
Beate würde nie den Ausdruck vergessen, der sich in
diesem Moment wie ein Schatten über
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