Metanoia - Du sollst Buße tun (Kommissar Pfeifers zweiter Fall)
Wangen stand sie vor
ihm, die Augen mit Tränen gefüllt. Der Schmerz über den Verlust ihrer Tochter
hatte vollständig Besitz von ihr ergriffen und drohte nun, sie zu überwältigen.
„Nein.“ Kraftlos ließ er seine Hand sinken und trat
einen Schritt zurück. Erschrocken über sich selbst. „Nein“, sagte er noch
einmal, drehte sich um und verließ, ohne seine Frau eines weiteren Blickes zu
würdigen, das gemeinsame Haus.
Torsten Bolander entschied, zu Fuß zu gehen. Er
wollte einen klaren Kopf bekommen. So konnte es nicht weitergehen. Er musste
dringend etwas wegen Melli unternehmen. Sie stand kurz vor einem
Nervenzusammenbruch, das konnte er sehen. Doch er wusste nicht, wie er es
anstellen sollte, ihre Meinung bezüglich des Restaurants zu ändern. Wenn sie
wirklich tat, was sie ihm gerade angedroht hatte, war er ruiniert. Niemals
könnte er genügend Geld aufbringen, um sie auszuzahlen. Er hatte viele
einflussreiche Freunde, das stimmte. Doch sie waren Politiker und
Geschäftsleute, die sich sicherlich nicht gerne in einen Scheidungskrieg
verwickeln lassen wollten. Noch dazu nicht, wenn es wie in diesem Fall drohte,
in einer öffentlichen Schlammschlacht zu enden. Und das würde es. Melanie hatte
keinen Zweifel an ihren Absichten diesbezüglich gelassen.
Bolander lief ziellos durch die Stadt und hing
seinen düsteren Gedanken nach, bis er sich plötzlich an dem kleinen Ententeich
im Stadtgarten wiederfand. Er registrierte es überrascht und wusste
gleichzeitig, dass dies hier der richtige Ort für ihn zum Nachdenken war.
Keiner der vorübergehenden Menschen sprach ihn an. Alle nahmen Rücksicht auf
den trauernden Vater. So kam es, dass er trotz seines hohen Bekanntheitsgrades
allein blieb.
Seine Gedanken kreisten weiter um sein Leben. Um
das Jetzt, die Vergangenheit und die Zukunft. Seit Silkes Tod war alles anders
geworden. Es stimmte, seine Ehe lief schon seit zwei, vielleicht auch drei
Jahren nicht mehr so gut. Wann genau es angefangen hatte, konnte er nur
vermuten. Ja, er hatte einen Fehler gemacht vor zwei Jahren. Aber dass Melanie
ihn jetzt des Mordes an Silke beschuldigte, das war einfach zu viel für ihn. Er
kannte Silke seit ihrem sechsten Lebensjahr. Er hatte sie großgezogen, als wäre
sie sein eigenes Kind, hatte ihr durch so manchen Liebeskummer geholfen, weil
ihre Mutter lieber ihrem Beruf als Innenarchitektin nachgegangen war, anstatt
sich um ihre Tochter zu kümmern. Doch plötzlich hatte Silke sich verändert. Von
einem Tag auf den anderen war sie aufsässig geworden und hatte eine Art
Metamorphose durchlaufen, die nicht zu ihrem Vorteil vonstatten gegangen war.
Drogen, Alkohol, schlechte Zeugnisse und Hass. Dieser allumfassende, lodernde,
abgrundtiefe Hass auf alles und jeden; aber ganz besonders auf ihn. Er fuhr
sich mit den Händen durch sein volles Haar. Seine Gedanken blieben bei Silke.
Der Gipfel waren ihre kohlschwarzen Haare, der
riesige Nasenring und dieses scheußliche Tattoo gewesen, das ihren halben
Rücken bedeckte. Irgend so ein abergläubischer Mist. Silke hatte ihm den Namen
des Tattoos während eines Streits entgegengeschleudert, aber er hatte nicht
zugehört, wie so oft in letzter Zeit. Er sah ein, dass er viel falsch gemacht
hatte, aber taten das nicht alle Eltern? Er hatte es doch nur gut gemeint, als
er zu ihr gegangen war in dieser einen Nacht. Wieso wurde ausgerechnet seine
Familie jetzt dafür bestraft? Ihm war die Chance genommen worden, seinen Fehler
wiedergutzumachen.
Tränen der Reue traten in seine Augen und er ließ
ihnen freien Lauf. Bolander stützte sich mit den Unterarmen auf die Holzbrüstung,
die den kleinen See umgab, und beobachtete die Enten. Sie kümmerten sich nicht
um die Absperrung, die die Polizei hier errichtet hatte, und schwammen fröhlich
quakend in dem Gewässer herum, immer auf der Suche nach ein paar Brotkrümeln,
die die Leute hineingeworfen hatten. Im Hintergrund rauschte der kleine Wasserfall
des Mühlbachs. Er seufzte tief. Wann hatte es begonnen, so kompliziert zu
werden?
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Die Befragung der Jugendlichen hatte nichts Neues
ergeben. Beate und Karl konnten nicht verstehen, wieso diese sich so
verschlossen zeigten. Immerhin war ihre Freundin unter höchst merkwürdigen
Umständen ums Leben gekommen. Man sollte doch meinen, sie hätten ein
gesteigertes Interesse daran, herauszufinden, was passiert war und vor allem,
wer sich dafür verantwortlich zeigte.
„Was denkst du?“, fragte Pfeifer seine Kollegin,
als sie wieder
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