Metanoia - Du sollst Buße tun (Kommissar Pfeifers zweiter Fall)
sofort damit angefangen, sie als
Skulptur zu verewigen.“
Jetzt war es an Pfeifer und Möller, den jungen Mann
sprachlos anzustarren. Vor ihnen standen zwei lebensgroße Skulpturen aus
Metall. Eine davon stellte offensichtlich Silke dar, die andere Ben. Die beiden
hielten sich in den Armen und – weinten?
„Wie ist das möglich?“ Pfeifer riss erstaunt die
Augen auf. „Wie haben Sie das gemacht? Sind das Sie und Silke?“ Als Ben nickte,
glomm ein kleiner Funken Stolz in seinen Augen auf. „Ich habe Tag und Nacht
daran gearbeitet. Wunderschön, nicht wahr? Jetzt sind wir für immer zusammen.“ Er
fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen.
Pfeifer musterte den Jungen eingehend. Erst jetzt
nahm er die äußerliche Erscheinung Bens richtig bewusst wahr. Er war abgemagert
und seine blasse Haut wirkte beinahe durchsichtig. Seine Hände zitterten
leicht. Die einst so strahlend blauen Augen waren stumpf und lagen, mit ihren
tellergroßen Pupillen, tief in ihren Höhlen. Dadurch wirkten sie unnatürlich
groß. Tiefe, dunkle Tränensäcke rundeten das Bild ab.
„Ben, Sie brauchen dringend Hilfe. Wann haben Sie
das letzte Mal etwas gegessen oder getrunken? Schlafen Sie überhaupt? Wo sind
denn Ihre Eltern?“
„Weg“, kam die einsilbige Antwort. Ben starrte
immer noch wie gebannt auf seine Skulpturen.
Pfeifer erkannte die Anzeichen eines drohenden
Zusammenbruchs und wandte sich an den Polizeiobermeister: „Wir brauchen einen
Krankenwagen. Ich denke, der junge Mann hier muss dringend in eine Klinik. Am
besten in eine, die Erfahrung mit Entzugserscheinungen hat.“ Möller nickte und
machte sich daran, einen Transport für Ben zu bestellen.
„Sind Sie damit einverstanden, Herr Hausmann?“ Ben
nickte ergeben. Er hatte seine ganze Kraft darauf verwandt, Silke und sich
selbst zu verewigen und so seinen Fehler wieder gutzumachen. Jetzt würde sie
weiterleben. Für immer. Nun hatte er sein Projekt abgeschlossen und wusste
nicht, was er mit sich anfangen sollte. Sobald seine Eltern hiervon erfuhren,
würden sie ihn vermutlich sowieso des Hauses verweisen und er saß auf der
Straße.
Er sah es so: Sein Leben war vorbei, noch bevor es
richtig begonnen hatte. Seinetwegen konnte er einen Entzug machen oder sterben.
Es war ihm einerlei, was mit ihm passierte.
„Herr Kommissar. Ich muss Ihnen noch etwas sagen.“
„Ja?“
„Ich habe Silke in der Nacht angerufen und sie in
den Stadtgarten gebeten. Für Malte.“
42
Miriam von der Linden war inzwischen nach Tübingen
in die BG Unfallklinik verlegt worden. Sie lag in einem Zimmer auf der
Verbrennungsstation und machte sich große Sorgen um ihren Sohn Chris. Er hatte
so seltsam geklungen am Telefon. Bevor sie nach Tübingen verlegt wurde, war sie
im Acherner Krankenhaus erst einmal notdürftig versorgt worden, bis man
einschätzen konnte, wie schwer ihre Verbrennungen tatsächlich waren. Ein
Chirurg war schließlich zu der Erkenntnis gelangt, dass sie an der linken Hand
auf jeden Fall eine Hauttransplantation benötigen würde, und hatte umgehend
eine Verlegung angeordnet.
Ihr Sohn war nicht zu Besuch gekommen. Weder in die
eine noch in die andere Klinik. Enttäuscht hatte Miriam sich in ihr Schicksal
gefügt. Nun lag sie mutterseelenallein hier in einer ihr fremden Stadt. Ohne
Besuch und ohne Familie. Ihr Mann konnte den Hof und die Tiere unmöglich allein
lassen und wollte die Stallungen so schnell wie möglich wieder aufbauen. Der
Einnahmenverlust war enorm und so war schnelles Handeln dringend erforderlich
gewesen. Dafür hatte sie natürlich Verständnis. Was sie aber nicht verstand,
war das seltsame Verhalten ihres Sohnes. Sie hatte ihn heute Morgen angerufen
in der Hoffnung, ihn noch vor seiner ersten Vorlesung zu erwischen und sie
hatte Glück gehabt. Doch Chris war kurz angebunden und ziemlich genervt
gewesen. Auf die Frage, warum er sie nicht besuchen kam, schob er wichtige
Klausuren vor. Dann hatte er sich entschuldigt und das Gespräch abrupt beendet.
Miriam betrachtete ihre bandagierten Hände und
fragte sich zum tausendundeinen Mal, wer so etwas tat. Und vor allem, warum.
Die Polizei hatte ihr mitgeteilt, dass es Brandstiftung gewesen war und dass
sie Glück gehabt hatte, dass sie noch lebte. Die einzige richtig schwere
Verletzung hatte sie an der linken Hand davongetragen. Dafür sollte ihr morgen
ein Stück Haut aus dem Oberschenkel entnommen und auf die verbrannte Stelle
verpflanzt werden. Die Verbrennungen an der anderen Hand
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