Meteor
bevor Präsident James Madison in Verhandlungen mit ihnen eintrat.« Die Touristen amüsierten sich köstlich. Gabrielle folgte dem Beamten am Treppenhaus vorbei durch eine Reihe leichter Absperrungen in einen weniger zugänglichen Teil des Gebäudes. Sie betraten einen Raum, den Gabrielle nur aus Büchern und vom Fernsehen her kannte. Sie hielt den Atem an.
Mein Gott, das ist ja der Kartenraum!
Keine Touristengruppe kam je hier herein. Wenn man die Wandtäfelungen beiseite klappte, kamen Lage um Lage Welt- und Länderkarten zum Vorschein. Hier hatte Roosevelt die Feldzüge des Zweiten Weltkriegs geplant. Und Präsident Clinton hatte den Raum für seine Affäre mit Monika Lewinsky genutzt.
Diesen Gedanken verdrängte Gabrielle jedoch rasch. Entscheidend war, dass der Kartenraum die Durchgangsstation zum Westflügel bildete – jenen Bereich innerhalb des Weißen Hauses, wo die eigentlichen Drahtzieher der Macht am Werk waren. Dass ihr Weg sie hierher führen würde, hätte Gabrielle zu allerletzt gedacht. Sie war davon ausgegangen, die E-Mails würden von einem unternehmungslustigen Praktikanten oder einer Sekretärin stammen, die in einem der weniger spektakulären Büros tätig waren. Offensichtlich ein Irrtum.
Du bist auf dem Weg in den Westflügel.
Der Sicherheitsbeamte begleitete sie bis ans Ende eines mit dicken Teppichen ausgelegten Flurs. Vor einer Tür ohne Namensschild blieb er stehen und klopfte an. Gabrielle pochte das Herz.
»Es ist offen«, schnarrte es von drinnen.
Der Beamte öffnete die Tür und winkte Gabrielle hinein.
Gabrielle trat in den Raum. Drinnen war es schummrig; die Jalousien waren heruntergelassen. Gabrielle sah jemand in der Düsternis hinter dem Schreibtisch sitzen.
»Miss Ashe?«, erklang es hinter einer Wolke Zigarettenqualm.
»Ich begrüße Sie.«
Als Gabrielles Augen sich an das schwache Licht gewöhnt hatten, machte sie ein erschreckend bekanntes Gesicht aus. Sie wurde starr vor Überraschung. Das also ist der Absender der E-Mails.
»Nett, dass Sie gekommen sind«, sagte Marjorie Tench.
»Miss… Tench?«, sagte Gabrielle stockend. Die Stimme drohte ihr zu versagen.
»Nennen Sie mich Marjorie.« Die Chefberaterin des Präsidenten erhob sich und stieß wie ein Drache Rauch durch die Nüstern aus. »Wir werden noch gute Freundinnen.«
41
Norah Mangor stand neben Tolland, Rachel und Corky und schaute in das pechschwarze Loch des Bergungsschachts.
»Mike«, sagte sie, »du bist ein netter Kerl, aber du spinnst. Hier ist keine Spur von Biolumineszenz.«
Tolland wünschte, er hätte daran gedacht, eine Videoaufnahme zu machen. Während Corky unterwegs gewesen war, um Norah und Ming aufzuspüren, hatte das Leuchten rapide abgenommen und dann innerhalb von ein paar Minuten ganz aufgehört.
Tolland warf noch einen Eissplitter ins Wasser, aber nichts tat sich, nichts wallte grün auf.
»Wo sind die Dinger denn hin?«, wollte Corky wissen.
Tolland hatte eine einleuchtende Erklärung. Biolumineszenz – einer der genialsten Verteidigungsmechanismen der Natur – war eine natürliche Reizantwort des Planktons auf Stress. Wenn ein Planktonteilchen spürte, dass es in Gefahr war, von einem größeren Organismus verschlungen zu werden, begann es zu leuchten, um den Angreifer zu verscheuchen, indem es dessen Fressfeinde anlockte. Im vorliegenden Fall befand sich das durch einen Riss eingedrungene Plankton plötzlich in einem Biotop wieder, das vorwiegend aus Süßwasser bestand. Während es im Süßwasser allmählich umkam, begann es in Panik zu leuchten. »Ich glaube, die Tierchen sind tot.«
»Sie sind alle ermordet worden«, spottete Norah. »Der Osterhase ist gekommen und hat sie alle gefressen.«
Corky schaute sie an. »Ich habe das Leuchten auch gesehen, Norah.«
»Bevor oder nachdem du LSD eingeworfen hast?«
»Warum sollten wir dir Geschichten erzählen?«
»Männer erzählen immer Geschichten.«
»Ja, wenn sie fremdgehen, aber nicht, wenn es um Biolumineszenz geht.«
Tolland seufzte. »Norah, wir brauchen uns bestimmt nicht darüber zu streiten, dass es unter dem Eis lebendiges Plankton gibt.«
Norah schaute ihn böse an. »Mike, bitte erklär mir nicht meinen Beruf! Nur der Ordnung halber: Unter den arktischen Eisschelfs leben über zweihundert Arten von Diatomeen oder Kieselalgen. Vierzehn Arten von autotrophen Nannoflagellaten, zwanzig heterotrophe Flagellatenarten, vierzig heterotrophe Dinoflagellaten und mehrere Vielzellerarten, einschließlich
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