Meteor
Rachels Stelle, »die mir schon längst hätte einfallen müssen. In dem besagten Programm habe ich auch eine Planktonart erwähnt, die in den polaren Eiskappen jeden Winter einfriert und im Eis überwintert. Im Sommer, wenn die Polarkappen wieder dünner werden, schwimmt sie davon. Zugegeben, die Art, von der in meiner Sendung die Rede war, ist nicht identisch mit der biolumineszenten Art, die wir hier gefunden haben, aber wir könnten es vielleicht mit dem gleichen Vorgang zu tun haben.«
Rachel war froh, dass Tolland sich so bereitwillig auf ihre Seite stellte. »Eingefrorenes Plankton könnte die Erklärung für all das sein, was wir hier beobachten. Irgendwann in der Vergangenheit könnten sich in diesem Gletscher Risse gebildet und mit planktonreichem Meerwasser gefüllt haben, die dann wieder zugefroren sind. Was, wenn es in diesem Gletscher gefrorene Salzwassereinschlüsse gibt? Gefrorenes Salzwasser mit gefrorenem Plankton? Man braucht sich nur vorzustellen, dass der Meteorit beim Heben einen gefrorenen Salzwassereinschluss passiert hat.
Das Salzwasser wäre geschmolzen und hätte das im Kälteschlaf befindliche Plankton freigesetzt – damit wäre die schwache Salzwasserbeimischung im Süßwasser zu erklären.«
»Ach herrje.« Norah stöhnte. »Auf einmal ist hier jeder Glaziologe.«
Auch Corky schien Einwände zu haben. »Aber hätte PODS denn nicht Salzwassereinschlüsse bei seinen Dichtemessungen erkennen müssen? Schließlich weichen die Dichtekoeffizienten von Meerwasser und Süßwasser voneinander ab.«
»Nur unwesentlich«, sagte Rachel.
»Vier Prozent ist ein wesentlicher Unterschied«, warf Norah ein.
»In einem Laboratorium schon«, gab Rachel zu bedenken, »aber PODS macht seine Messungen aus zweihundert Kilometer Höhe im All. Seine Computer sind so eingestellt, dass markante Unterschiede erkannt werden – Eis und Matsch, Granit und Kalkstein.« Sie wandte sich an Ekstrom. »Stimmt meine Vermutung, dass PODS bei Messungen aus dem All den Dichteunterschied von Meerwassereis und Süßwassereis vermutlich nicht auflösen kann?«
Ekstrom nickte. »Stimmt. Vier Prozent liegt im Messfehlerbereich von PODS. Der Satellit würde Meerwassereis und Süßwassereis als identisch einstufen.«
Tolland schien fasziniert zu sein. »Das würde auch den gleich bleibenden Wasserspiegel im Schacht erklären.« Er schaute Norah an. »Du sagst, die Planktonart aus dem Schacht, die du unter dem Mikroskop gesehen hast, heißt…?«
»G. polyhedra«, erklärte Norah. »Und jetzt möchtest du vermutlich gern wissen, ob G. polyhedra in der Lage ist, im Eis zu überwintern? Es wird dich freuen zu hören, dass die Antwort nur Ja lauten kann. Absolut. G. polyhedra lebt unter Eisschelfs. Sie bioluminesziert und kann im Eis überwintern. War es das?«
Alle blickten sich an. Norah hatte soeben Rachels These bestätigt, hätte nicht ein »aber« in ihrer Stimme mitgeschwungen.
»Willst du damit sagen, dass es möglich ist?«, erkundigte Tolland sich ein wenig verunsichert. »Die Theorie ergibt einen Sinn?«
»Sicher«, sagte Norah, »wenn man keine Ahnung hat.«
Rachel starrte sie an. »Wie bitte?«
Norah starrte zurück. »Miss Sexton, ich kann mir gut vorstellen, dass in Ihrem Beruf ein bisschen Ahnung eine gefährliche Sache ist, und ich kann Ihnen versichern, dass es sich in der Glaziologie genauso verhält.« Norah blickte in die Runde und schaute jeden Einzelnen genau an. »Ich möchte das ein für alle Mal klarstellen. Die von Miss Sexton vorgeschlagenen gefrorenen Salzwassereinschlüsse gibt es durchaus. Sie bilden aber keine Salzwasserkammern oder so etwas, sondern ein weitverzweigtes Netz von Salzwasseradern, die nicht dicker sind als ein menschliches Haar. Dieser Meteorit hätte sich durch ein verdammt dichtes Netz von Salzwasseradern schmelzen müssen, damit in einer Wassersäule von dieser Tiefe eine dreiprozentige Salzwasserbeimischung entsteht.«
Ekstrom blickte finster. »Also – möglich oder nicht?«
»Nie im Leben«, sagte Norah kategorisch. »Völlig unmöglich.
Meine Kernbohrungen hätten sonst auf Salzwassereis treffen müssen.«
»Werden Kernbohrungen im Allgemeinen nicht auf Verdacht angesetzt?«, fragte Rachel. »Wäre es denkbar, dass Sie rein zufällig an einem Meerwassereis-Einschluss vorbeigebohrt haben?«
»Ich habe die Bohrung direkt über dem Meteoriten angesetzt.
Außerdem habe ich nur ein paar Meter im Umkreis weitere Bohrungen vorgenommen. Sorgfältiger geht es
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