Meteor
Lage war, mit ihren elektronischen Verbindungen zu zehntausenden Nachrichtenquellen rund um den Globus – vom größ-
ten Fernsehmulti bis zu den kleinsten Provinzblättern – mit zwei Stunden Vorlauf quasi auf Knopfdruck ein Drittel der Weltbevölkerung zu erreichen.
Fax-Computer schoben Presseerklärungen in die Eingangskörbe der Redaktionen von Radio, Fernsehen, Print- und Internet-Medien zwischen Maine und Moskau. E-Mail-Massensendungen gingen an Online-Nachrichtendienste. Selbstwählautomaten spielten Tausenden von Redakteuren Tonbandtexte zu. Eine Nachrichten-Internetseite wurde mit Updates laufend auf dem letzten Stand gehalten. Nachrichtenkanäle mit der Möglichkeit zu Liveschaltungen – CNN, NBC, ABC, CBS und ausländische Sendegesellschaften – wurden mit Angeboten von kostenlosen Liveübertragungen nach allen Regeln der Kunst bearbeitet. Welche Sendung bei diesen Sendern auch gerade lief, eine wichtige Erklärung des Präsidenten war allemal eine Programmunterbrechung wert.
Vollständige Nachrichtensättigung.
Wie ein General, der seine Truppen inspiziert, schritt Marjorie Tench wortlos zum Kopierer und nahm ein Exemplar der
»Blitzmeldung« heraus, die inzwischen abschussbereit in sämtlichen Übertragungsgeräten steckte.
Beim Durchlesen lachte sie leise in sich hinein. Nach den sonst gültigen Maßstäben war es eher ein Reklametext als eine Verlautbarung, aber der Präsident hatte das Communications Office angewiesen, bedenkenlos auf die Tube zu drücken – und das hatte man getan. Dieser Text war perfekt, reich an Reizwörtern und arm an Inhalt. Eine tödliche Kombination. Redaktionen, die ankommende Meldungen durch automatische Stichwort-Filterprogramme schickten, würden es auf ihrem Bildschirm blinken sehen wie Glühwürmchen in einer Juninacht.
Von: Weißes Haus, Communications Office
Betreff: Dringliche Erklärung des Präsidenten
Der Präsident der Vereinigten Staaten wird heute Abend 20:00 Eastern Standard Time im Briefing Room des Weißen Hauses eine dringliche Pressekonferenz abhalten. Das Thema der Erklärung unterliegt derzeit noch der Geheimhaltung. Audio- und Videoübertragungen stehen live über die üblichen Kanäle zur Verfügung.
Marjorie Tench legte das Blatt zurück und nickte anerkennend in die Runde. Die Leute waren mit Leib und Seele dabei. Sie zündete eine Zigarette an, rauchte ein paar Züge. Die Spannung knisterte im Raum. »Meine Damen und Herren«, sagte sie schließlich, »dann mal los.«
53
Logische Überlegung spielte für Rachel Sexton keine Rolle mehr. Der Meteorit, der rätselhafte Ausdruck des Radarbildes in ihrer Tasche, Ming, der grauenvolle Angriff – sie dachte nicht mehr darüber nach. Es ging nur noch um eines.
Überleben.
Das Eis fegte unter ihr hindurch wie eine endlose glatte Autobahn. Sie spürte keinen Schmerz, sie spürte gar nichts. Lag es am dicken Schutzanzug, oder war sie vor Angst betäubt? Sie wusste es nicht. Rachel und Tolland waren an der Hüfte zusammengeklammert. Einander zugekehrt und auf der Seite liegend hielten sie sich in einer ungeschickten Umarmung aneinander fest. Irgendwo vor ihnen blähte sich der Ballon wie der Bremsfallschirm hinter einem Dragster. Corky sauste in wilden Schlangenlinien hinter ihnen her. Die Fackel an der Stelle des Überfalls war so gut wie nicht mehr zu erkennen.
Der Zischton der Nylonanzüge auf dem Eis wurde zunehmend höher. Sie hatten keine Ahnung, wie schnell sie inzwischen dahinsausten, aber der Wind blies mit über einhundert Kilometer in der Stunde, und die Rutschbahn flitzte von Sekunde zu Sekunde schneller unter ihnen durch. Der luftundurchlässige Mylarballon zeigte keinerlei Neigung, nachzugeben oder zu reißen.
Wir müssen abkoppeln, dachte Rachel. Sie rasten von einer tödlichen Gefahr geradewegs in die nächste. Bis zum Meer sind es vielleicht noch anderthalb Kilometer! Beim Gedanken an eiskaltes Wasser kamen schreckliche Erinnerungen in ihr hoch.
Immer noch nahm das Tempo zu. Hinter ihnen gellten Corkys Schreckensschreie. Bei dieser Geschwindigkeit würden sie in wenigen Minuten über den Eisabbruch in den klirrend kalten Ozean geschleudert werden.
Tolland dachte offensichtlich das Gleiche. Er kämpfte schon mit dem Lastkarabiner des Ballons. »Ich kann uns nicht ausklinken«, rief er. »Der Zug ist zu stark!«
Rachel hoffte auf ein kurzes Nachlassen des Sturms, aber der Fallwind blies mit monotoner Brutalität. Rachel warf sich herum und stemmte die Fußsohlen mit den
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