Metro 2034
etwas einzureden.
Hunter nahm ihn wieder mit -etwa um ihm das blutige Ende des ganzen Dramas zu zeigen? Nun würde er nicht mehr nur die Tulskaja vernichten, sondern noch dazu die Sektierer, die in den Tunneln hockten, sowie die Serpuchowskaja samt allen Bewohnern und den dort stationierten Soldaten der Hanse. Und all das nur, weil ein paar von ihnen sich möglicherweise angesteckt hatten.
Und der Sewastopolskaja stand vielleicht dasselbe Schicksal bevor. Der Brigadier brauchte keine Gründe mehr, um zu töten. Er suchte nur nach einem Anlass.
Homer war zu nichts mehr imstande, als hinter Hunter herzulaufen und wie in einem Alptraum all dessen Verbrechen zu beobachten und zu dokumentieren. Dabei rechtfertigte er sich damit, dass diese im Namen der Rettung geschahen, redete sich ein, sie seien das geringere Übel. Der unbarmherzige Brigadier aber erschien ihm wie ein Moloch, und Homer war zu verzagt, um gegen das Schicksal anzukämpfen.
Das Mädchen jedoch schien sich nicht fügen zu wollen.
Während Homer sich schon damit abgefunden hatte, dass die Tulskaja und Serpuchowskaja in Sodom und Gomorrha verwandelt wurden, ergriff Sascha noch den geringsten Strohhalm. Homer gelang es nicht mehr, sich einzureden, dass vielleicht doch Pillen oder ein Impfstoff, ein Serum gefunden werden konnten, bevor Hunter die Epidemie mit Feuer und Schwert beenden würde - Sascha dagegen würde bis zuletzt nach einem Heilmittel suchen.
Homer war weder Krieger noch Arzt, und vor allem war er zu alt, um noch an Wunder zu glauben. Ein Teil seines Herzens jedoch träumte leidenschaftlich von der Rettung, und genau diesen Teil hatte er nun herausgerissen und fortgehen lassen - mit Sascha. Alles, was er sich selbst nicht zu tun getraute, hatte er einfach auf das Mädchen abgewälzt. Und in der Ergebenheit seine Ruhe gefunden. In vierundzwanzig Stunden würde alles vorbei sein. Danach würde Homer desertieren, eine einsame Zelle für sich finden und sein Buch zu Ende schreiben. Nun wusste er, wovon es handeln würde.
Davon, wie ein vernunftbegabtes Tier einen magischen Stern, der vom Himmel herabgefallen war, einen Himmels-funken, verschlang und zum Menschen wurde. Wie der Mensch den Göttern das Feuer stahl, es jedoch nicht bezähmen konnte und die Welt bis auf den Grund niederbrannte. Wie man ihm zur Strafe exakt einhundert Jahrhunderte später diesen Funken des Menschlichen wieder wegnahm. Und wie er darob nicht wieder zum Tier wurde, sondern sich in etwas viel Furchtbareres verwandelte, etwas, wofür es nicht einmal einen Namen gab.
Der Wachleiter ließ die Handvoll Patronen in seiner Tasche verschwinden und drückte dem Musiker zur Besiegelung des Geschäfts kräftig die Hand. »Für eine symbolische Zuzahlung könnte ich euch sogar eine Mitfahrgelegenheit organisieren«, erklärte er. »Ich bevorzuge romantische Spaziergänge«, erwiderte Leonid.
Der Wachleiter ließ nicht locker und flüsterte dem Musiker zu: »Sieh doch mal, zu zweit kann ich euch nicht einfach ohne Eskorte durch unsere Tunnel laufen lassen. Ihr bekommt in jedem Fall'nen Konvoi, denn deine Lady hat ja keine Dokumente. Aber so würde ich euch zack-zack an einen Ort befördern, wo ihr eure Zweisamkeit genießen könntet.«
»Das brauchen wir gar nicht!«, fuhr Sascha entschlossen dazwischen. Der Musiker verneigte sich vor ihr. »Wir tun so, als seien die Wachen unser Ehrengeleit. Der Prinz und die Prinzessin von Monaco bei der Promenade.«
»Welche Prinzessin?«, platzte Sascha heraus. »Von Monaco. Es gab mal so ein Fürstentum. An der Côte d'Azur.«
»Hör mal«, unterbrach ihn der Wachleiter. »Wenn du unbedingt zu Fuß gehen willst, macht euch mal auf die Socken. Dein Magazin in allen Ehren, aber die Jungs müssen bis zum Abend zur Basis zurück. He, Krücke!«, rief er einen Soldaten zu sich. »Begleitet die beiden bis zur Kiewskaja.
Der Patrouille sagt ihr, es ist'ne Deportation. Bringt sie dort auf die Radiallinie, und dann ab nach Hause.« Er wandte sich Leonid zu. »Stimmt's?« »Jawoll«, erwiderte der und salutierte scherzhaft. Der Wachleiter zwinkerte ihm zu. »Gerne wieder.«
Wie sich doch das Gebiet der Hanse vom Rest der Metro unterschied!Auf der gesamten Strecke von der Pawelezkaja zur Oktjabrskaja gab es keine einzige Stelle, an der es völlig dunkel gewesen wäre. Alle fünfzig Schritt hing an dem Kabel, das an der Wand entlangkroch, eine elektrische Lampe, deren Licht gerade bis zur nächsten reichte. Ja, selbst die Flucht- und
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