Metro 2034
Geheimtunnel, die bisweilen von hier abzweigten, waren so gut beleuchtet, dass sie ihren Schrecken verloren.
Wäre es nach Sascha gegangen, sie wäre losgestürzt, um wertvolle Minuten zu sparen, doch Leonid überzeugte sie, dass es keinen Grund zur Eile gab. Auch weigerte er sich standhaft zu erklären, wo sie von der Kiewskaja aus hingehen würden. Er marschierte ohne Hast und sichtlich gelangweilt vor sich hin - offenbar war er in den für Normalsterbliche unzugänglichen Tunneln der Ringlinie kein seltener Gast.
»Ich bin froh, dass dein Freund stets so handelt, wie er es für richtig hält«, sagte er nach einer Weile. Sascha runzelte die Stirn. »Wovon sprichst du?«
»Läge ihm die Zivilbevölkerung so sehr am Herzen wie dir, hätten wir ihn mitnehmen müssen. So aber haben wir uns in Pärchen aufgeteilt, und jeder tut das, wonach ihm der Sinn steht. Er töten, du heilen.«
»Er will niemanden töten!«, sagte sie scharf und ein wenig zu laut. »Schon klar. Es ist ja sein Job.« Er seufzte. »Wer bin ich, ihn zu verurteilen?« »Was wirst du denn machen, wenn du groß bist?«, fragte sie ihn mit unverhohlenem Spott. »Spielen?«
Leonid lächelte. »Ich werde einfach bei dir sein. Was braucht es noch zum Glück?« Sie schüttelte den Kopf. »Das sagst du nur so. Du kennst mich doch gar nicht. Wie sollte ich dich glücklich machen?« »Ich wüsste schon wie. Mir genügt es bereits, ein schönes Mädchen anzusehen, und schon bin ich guter Laune. Und was .« »Du behauptest also, dass du dich in Sachen Schönheit auskennst?« Sie schielte zu ihm hinüber. Er nickte. »Das ist das Einzige, worin ich mich auskenne.« Plötzlich glätteten sich ihre Falten. »Was ist denn an mir so besonders?« »Du leuchtest!«
Diesmal hatte seine Stimme ernst geklungen. Doch schon im nächsten Augenblick blieb der Musiker einen Schritt zurück und ließ seinen Blick über sie gleiten. »Schade nur, dass du so grobe Sachen anziehst.« »Was stört dich denn daran?« Auch sie verlangsamte ihren Schritt. Es irritierte sie, dass er ihr auf den Rücken starrte. »Deine Kleidung lässt kein Licht durch. Und ich bin wie eine Motte.« Er flatterte mit den Händen und machte ein blödsinniges Gesicht. »Ich fliege immer auf das Feuer zu.«
Ein leichtes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie ließ sich auf sein Spiel ein. »Hast du Angst vor der Dunkelheit?« »Vor der Einsamkeit!« Leonid setzte eine traurige Miene auf und faltete die Hände vor der Brust.
Das hätte er nicht sagen sollen. Während er die Saiten stimmte, hatte er deren Widerstand falsch eingeschätzt, und nun war die dünnste und zarteste von ihnen, die jeden Moment hätte erklingen können, mit einem hässlichen Laut gerissen. Die leichte Zugluft des Tunnels, die alle ernsten Gedanken fortgeweht und Sascha dazu gebracht hatte, mit den Anspielungen des Musikers zu jonglieren, flaute sofort ab.
Mit einem Schlag war die etwas aufgehellte Stimmung, die Leonids spielerische Andeutungen bei ihr erzeugt hatten, wie weggeblasen. Nun war sie wieder nüchtern und machte sich Vorwürfe, dass sie ihm nachgegeben hatte. War sie deswegen mit ihm mitgezogen und hatte Hunter und den Alten verlassen?
»Als ob du wüsstest, was das ist«, murmelte sie und wandte sich ab. Die Serpuchowskaja, blassgrau vor Angst, war ganz in Dunkelheit getaucht.
Soldaten mit Armee-Gasmasken blockierten den Zugang zu den Tunneln sowie den Übergang zur Ringlinie. Die Station sirrte, in Vorahnung der Katastrophe, wie ein aufgeregter Bienenstock. Hunter und Homer wurden wie hohe Führungspersonen mit Begleitschutz durch den Saal geführt, und die Bewohner der Serpuchowskaja versuchten in ihren Augen zu lesen, ob sie wussten, was hier vor sich ging und wie es um ihr Schicksal bestellt war. Homer blickte zu Boden - diese Gesichter wollte er sich nicht einprägen.
Der Brigadier hatte ihn nicht eingeweiht, wohin er ging, doch der Alte ahnte es von selbst. Zur Polis. Vier Metro-Stationen, miteinander verbunden durch Übergänge, eine Stadt mit Tausenden von Bewohnern. Die geheime Hauptstadt dieses unterirdischen Reiches, das sich längst in Dutzende verfeindeter Feudalstaaten aufgesplittert hatte. Ein Bollwerk der Wissenschaft und Zufluchtsort der Kultur. Ein Allerheiligstes, das niemand anzugreifen wagte.
Niemand außer dem alten Homer, diesem halb wahnsinnigen Pestreiter? gegangen. Die Übelkeit hatte nachgelassen, und das schwindsüchtige Husten, das ihn immer wieder gezwungen hatte, seine blutige
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