Metro 2034
Atemmaske zu reinigen, war abgeflaut.
Vielleicht wurde sein Organismus ja doch selbst mit der Krankheit fertig? Oder er hatte sich gar nicht infiziert? Vielleicht hatte er sich einfach zu viel eingebildet. Er hatte das schon immer von sich gewusst, und doch hatte er sich so ins Bockshorn jagen lassen.
Der Tunnel hinter der Serpuchowskaja, dunkel und still, hatte einen schlechten Ruf. Homer wusste: Bis zur Polis würden sie keine Menschenseele antreffen; der Halt zwischen den beiden bewohnten Stationen Serpuchowskaja und Borowizkaja jedoch hielt mitunter Überraschungen bereit. Über die Poljanka, die einzige Station auf dieser Strecke, kursierten in der Metro nicht wenige Legenden. Wer dort vorbeikam, musste in der Regel nicht um sein Leben fürchten - seinem Verstand jedoch konnte dieser Bahnhof durchaus ernsthaften Schaden zufügen.
Homer war bereits mehrfach hier gewesen, allerdings nie auf etwas Besonderes gestoßen. Auch dafür hatten die Legenden, die er natürlich alle kannte, eine Erklärung. Also hoffte er inständig, dass die Station auch dieses Mal tot und verlassen daliegen würde wie zu besseren Zeiten.
Doch etwa hundert Meter vor der Poljanka bemerkte der Alte einen fernen Widerschein elektrischen Lichts, erste Geräusche hallten ihm entgegen, und ihn ergriff eine ungute Vorahnung. Er konnte deutlich menschliche Stimmen ausmachen - was eigentlich völlig unmöglich war. Schlimmer noch: Hunter, der sonst jegliche Anwesenheit von Lebewesen auf viele Hundert Schritt im Voraus spürte, schien absolut nichts zu hören und zeigte keinerlei Reaktion.
Auch Homers beunruhigte Blicke beachtete er nicht. Er war völlig in sich gekehrt, und es schien, als sähe er gar nicht, was sich vor ihnen abspielte. Die Station war bewohnt!Seit wann? Homer hatte sich nicht selten gefragt, warum die Bewohner der Polis trotz ständigen Platzmangels nie versucht hatten, die Poljanka zu erschließen und zu annektieren. Es war der Aberglauben, der sie bisher daran gehindert hatte!Er war Grund genug gewesen, diesen merkwürdigen Zwischenhalt in Ruhe zu lassen.
Doch offenbar hatte jemand die Angst überwunden und hier eine Zeltstadt aufgebaut sowie die notwendige Beleuchtung installiert. Und wie verschwenderisch sie mit Strom umgingen!Noch im Tunnel hielt sich Homer eine Hand vor die Augen, um sie vor den grellen Quecksilberlampen zu schützen, die von der Decke herabhingen.
Erstaunlich!Selbst die Polis hatte nie so sauber und gepflegt ausgesehen. An den Wänden war nichts mehr von all dem Staub und Ruß vergangener Jahre zu sehen, die Marmorplatten glänzten, und die Decke schien erst gestern frisch geweißelt worden zu sein. Homer sah durch die Bogenöffnungen ins Stationsinnere, konnte aber kein einziges Zelt erblicken. War man noch nicht dazu gekommen, sie aufzustellen? Oder wollte man hier vielleicht ein Museum einrichten? Den komischen Käuzen, die die Polis regierten, war das durchaus zuzutrauen.
Allmählich füllte sich der Bahnsteig mit Menschen. Sie interessierten sich weder für den bis an die Zähne bewaffneten Söldner mit dem Titanhelm noch für den neben ihm her trottenden, schmutzigen Alten. Und doch: Als Homer sie ansah, wusste er, dass er keinen Schritt weiter kommen würde - seine Beine waren wie gelähmt.
Jeder dieser Menschen, die sich allmählich am Bahnsteigrand sammelten, war gekleidet, als würde an der Poljanka ein Film über die ersten Jahre nach der zweiten Jahrtausendwende gedreht. Feinste Mäntel und Umhänge, bunte, bauschige Jacken, dunkelblaue Jeans . Solche Kleider hatten die Menschen vor der großen Katastrophe getragen. Wo waren die wattierten Anoraks, das grobe Schweinsleder, wo das allgegenwärtige Braun der Metro, das Grab aller Farben, hingekommen? Woher rührte all dieser Reichtum?
Und die Gesichter: Das waren keine Gesichter von Menschen, die auf einen Schlag ihre ganze Familie verloren hatten. Diese Menschen schienen erst vor kurzem die Sonne gesehen zu haben, sie machten den Eindruck, als hätten sie den Tag ganz selbstverständlich mit einer heißen Dusche begonnen - das hätte Homer beschwören können. Und dann er hatte das Gefühl, dass er viele dieser Menschen von irgendwoher kannte.
Immer mehr dieser wundersamen Personen versammelten sich, drängten sich am Rand des Bahnsteigs, ohne jedoch auf die Gleise herabzusteigen. Bald erfüllte die bunte Menge die ganze Station von einem Tunnel zum anderen.
Es schien, als seien sie alle irgendwelchen Fotos entstiegen, die ein
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