Metro 2034
wie die Wachleute an der Hanse, dafür glitzerte in ihren Augen eine jugendliche Neugier, die die Bewohner der Ringlinie nicht zu kennen schienen. Au
ßerdem: Diese zwei wussten sicher nichts davon, was vor fast zehn Jahren an der Awtosawodskaja passiert war. Waren sie also Saschas Feinde? Konnte man unbekannte Menschen denn überhaupt aus tiefstem Herzen hassen? Die Soldaten wagten es nicht, die Passagiere anzusprechen. Nur ein gleichmäßiges Ächzen war zu hören, während sie die Hebel betätigten.
»Wie hast du das gemacht?«, fragte Sascha Leonid. »Hypnose.« Er zwinkerte ihr zu. »Und was sind das für Dokumente, die du da hast?« Sie blickte ihn misstrauisch an. »Wie kann es sein, dass man dich überall durchlässt?«
»Es gibt verschiedene Pässe für verschiedene Situationen«, erwiderte er vage. Damit niemand sie hörte, musste sich Sascha ganz dicht an Leonid heransetzen. »Wer bist du?« »Ein Beobachter«, flüsterte er.
Hätte Sascha sich nicht den Mund zugehalten, die Fragen wären nur so aus ihr herausgesprudelt. Aber nun lauschten ihnen die Soldaten doch zu auffällig - selbst die Hebel quietschten jetzt leiser. Sie musste also bis zur Frunsenskaja warten, einer vertrockneten und verblichenen Station, deren blasses Antlitz mit roten Fahnen geschminkt war. Das Mosaik auf dem Boden war bereits lückenhaft, die breiten Säulen angenagt vom Zahn der Zeit, die Gewölbe darüber wie dunkle Teiche. Knapp über den Köpfen der Bewohner hingen schwache Lampen an Kabeln, die zwischen den Säulen gespannt waren -nicht auch nur ein Strahl wertvollen Lichts durfte vergeudet werden. Und erstaunlich sauber war es hier: Gleich mehrere nervöse Putzfrauen huschten auf dem Bahnsteig hin und her.
Die Station war voller Menschen, doch wenn Sascha sie anblickte, zuckten sie zusammen und taten geschäftig, nur um sich hinter ihrem Rücken wieder zu entspannen und mit gedämpften Stimmen zu tuscheln. Wenn sie sich dann nach ihnen umdrehte, erstarb das Flüstern, und die Menschen wandten sich erneut ihren Geschäften zu. Niemand schien ihr in die Augen sehen zu wollen, als wäre dies etwas Unanständiges.
Sascha blickte Leonid an. »Fremde kommen wohl nicht oft hierher?«
Der Musiker zuckte mit den Schultern. »Ich bin selbst fremd hier.« »Wo bist du denn zu Hause?«
»Dort, wo die Menschen nicht so todernst sind.« Er grinste. »Wo man begreift, dass der Mensch nicht nur vom Essen lebt. Wo man das Gestern nicht vergisst, auch wenn die Erinnerung wehtut.« »Erzähl mir von der Smaragdenen Stadt«, bat Sascha leise. »Warum verstecken sie . Warum versteckt ihr euch?«
»Die Herrscher der Stadt misstrauen den Bewohnern der Metro.« Leonid musste kurz unterbrechen, um mit den Wächtern am Tunneleingang zu verhandeln. Dann tauchten er und Sascha in die tiefe Dunkelheit ein. Mit einem Eisenfeuerzeug entfachte er den Docht einer Öllampe und fuhr fort: »Sie misstrauen ihnen, weil die Menschen in der Metro allmählich ihr menschliches Antlitz verlieren. Außerdem gibt es hier noch immer Leute, die diesen furchtbaren Krieg begonnen haben. Auch wenn das natürlich niemand zugeben würde, nicht einmal seinen besten Freunden gegenüber. Die Menschen in der Metro sind eben unverbesserlich.
Man kann sie nur fürchten, sich von ihnen fernhalten, sie beobachten. Würden sie von der Smaragdenen Stadt erfahren, so würden sie sie auffressen und wieder auskotzen, so wie sie es mit allem machen, was sie in die Finger bekommen. Die Gemälde der großen Meister würden verbrennen.
Papier würde verbrennen und alles, was darauf ist. Das ausgezehrte Gebäude der Universität würde einstürzen. Die einzige Gesellschaft, die Gerechtigkeit und Harmonie erreicht hat, würde vernichtet werden. Die große Arche würde untergehen. Und nichts würde mehr bleiben.«
Sascha fühlte sich gekränkt. »Warum glaubt ihr, dass wir uns nicht ändern können?« »Nicht alle glauben das.« Leonid sah sie mit schrägem Blick an. »Einige versuchen etwas zu tun.«
»Sie scheinen sich aber nicht sehr zu bemühen.« Sascha seufzte. »Nicht mal der Alte wusste etwas von ihnen.« »Dafür hat so mancher sie selbst gehört«, sagte er geheimnisvoll. »Du meinst die Musik?«, riet Sascha. »Bist du einer von denen, die uns verändern wollen? Aber wie?« »Durch Nötigung zum Schönen«, scherzte der Musiker.
Ein Adjutant schob den Rollstuhl, während Homer nebenherhetzte. Er konnte kaum Schritt halten und blickte sich von Zeit zu Zeit nach seinem
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