Metro 2034
dem Sascha mühelos einen ausreichend breiten Durchschlupf fand. Nach einigen Hundert Schritt stieß sie auf die Stahlwand eines Sicherheitstors, das auf sie einen ewigen, unerschütterlichen Eindruck machte.
Sascha zählte weitere vierzig Schritt ab, und tatsächlich: Sie erblickte in der Dunkelheit eine weiße Markierung an der feuchten, gleichsam schwitzenden Wand. Auch den Gummideckel fand sie sofort. Sie bog ihn nach hinten, ertastete den Knopf und warf nochmals einen Blick auf die Uhr, die ihr Leonid mitgegeben hatte. Sie hatte es geschafft!
Sie war rechtzeitig angekommen!Noch ein paar lange Minuten musste sie ausharren, dann schloss sie die Augen . Dreimal kurz. Dreimal lang. Dreimal kurz.
17 - WER SPRICHT?
Artjom senkte den glühenden Lauf. Schweiß und Tränen brannten ihm in den Augen, doch sein Handrücken stieß gegen die Gasmaske. Sollte er sie einfach abreißen? Was machte es jetzt noch für einen Unterschied.
Das Schreien der Infizierten war offenbar lauter als die Gewehrsalven. Wie sonst war es zu erklären, dass immer mehr von ihnen aus dem Waggon geströmt waren und sich in den Bleihagel gestürzt hatten? Hatten sie das Donnern nicht gehört, nicht begriffen, dass sie aus nächster Nähe exekutiert wurden? Worauf hatten sie gehofft? War ihnen ohnehin alles gleich gewesen?
Vor dem Ausgang war der Bahnsteig auf mehreren Metern mit aufgeblähten Leichen übersät. Einige zuckten noch, ja irgendwo in diesem schaurigen Grabhügel stöhnte noch jemand. Die Pestbeule war ausgelaufen. Jene, die sich noch im Waggon befanden, waren ängstlich zusammengerückt, versteckten sich vor den Kugeln.
Artjom warf einen Blick auf die anderen Schützen. Zitterten nur ihm die Hände und Knie? Keiner sprach ein Wort, sogar der Kommandeur schwieg. Man hörte nur das Röcheln der Menschen in dem noch immer überfüllten Zug, wie sie krampfhaft den blutigen Husten unterdrückten. Aus der Tiefe des Leichenhaufens spie indes der letzte Sterbende seine Flüche hervor: »Ihr Ungeheuer. Schweine. Ich lebe noch . Ich halte das nicht aus.«
Der Kommandeur sah sich nach dem Unglücklichen um, und als er ihn entdeckte, ging er in die Knie und feuerte den Rest seines Magazins auf den Mann ab, bis nur noch ein leeres Klicken zu hören war, und selbst dann drückte er noch ein paarmal ab.
Dann erhob er sich wieder, blickte auf seine Pistole und wischte sie merkwürdigerweise an seiner Hose ab. »Der Rest von euch: Bewahrt Ruhe!«, schrie er heiser. »Jedem, der das Lazarett ohne Erlaubnis zu verlassen versucht, droht die gleiche Strafe.«
»Was sollen wir mit den Leichen tun?«, fragte einer. »Zurück in den Zug. Iwanenko, Aksjonow, ihr erledigt das!«
Die Ordnung war wiederhergestellt. Artjom konnte wieder an seinen Platz zurückkehren und versuchen weiterzuschlafen: Bis zum Weckruf blieben noch ein paar Stunden.
Wenigstens noch eine Stunde schlafen, damit er morgen im Dienst durchhielt. Doch es kam anders.
Iwanenko machte einen Schritt zurück, schüttelte den Kopf und sagte, er weigere sich, diese eitrigen, halb zerfallenen Leichen anzufassen. Ohne zu zögern richtete der Kommandeur seine Pistole auf ihn -er hatte offenbar vergessen, dass er keine Patronen mehr hatte -, zischte hasserfüllt und drückte ab. Es klickte nur. Iwanenko kreischte auf und rannte davon.
Plötzlich riss einer der Soldaten hustend sein Sturmgewehr in die Höhe und rammte dem Kommandeur mit einer ungeschickten, schrägen Bewegung das Bajonett in den Rücken. Der Kommandeur fiel jedoch nicht, sondern drehte seinen Kopf langsam über die Schulter nach hinten und blickte den Angreifer an.
»Was tust du, verdammter Hurensohn?«, fragte er leise und verwundert.
Der andere schrie ihn an: »Bald wirst du uns genauso entsorgen!Hier gibt es doch gar keine Gesunden mehr!Heute machen wir sie kalt, morgen treibst du uns zu ihnen in die Waggons!« Der Mann bewegte die Waffe hin und her, um sie aus dem Kommandeur herauszuziehen, drückte jedoch nicht ab.
Niemand wagte es, sich einzumischen. Selbst Artjom, der zuerst einen Schritt in ihre Richtung gemacht hatte, war wie gebannt stehengeblieben. Endlich kam das Bajonett aus dem Rücken heraus. Der Kommandeur versuchte vergeblich die Wunde zu berühren, dann sank er in die Knie, stützte sich mit den Händen auf dem verschmierten Boden ab und schüttelte den Kopf. Es sah aus, als kämpfte er gegen eine Müdigkeit an.
Niemand traute sich, dem Kommandeur den Gnadenschuss zu verpassen. Sogar der Aufrührer, der
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