Metro 2034
mich betäubt?« Homer runzelte die Stirn und rieb sich über die brennende Schwellung am Hinterkopf.
»Das war ich. Ich musste dich niederschlagen, anders hätte ich deine Panik nicht in den Griff bekommen. Du hättest mich verletzen können.«
Endlich löste Hunter seinen schraubstockartigen Griff, richtete sich steif auf und ließ die Hand über den breiten Offiziersgürtel gleiten, an der das Halfter mit der Stetschkin hing. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich ein Lederetui mit schwer definierbarer Funktion. Der Brigadier öffnete den Knopf und zog eine flache Messingflasche hervor. Er schüttelte sie, schraubte den Verschluss auf und nahm einen großen Schluck, ohne Homer etwas anzubieten. Wie er dabei kurz die Augen zusammenkniff, durchfuhr den Alten ein kalter Schauder: Das linke Auge des Brigadiers hatte sich nicht ganz geschlossen.
»Wo ist Achmed? Was ist mit ihm?« Homer musste an die Ereignisse denken, und wieder schauderte ihn. »Er ist tot.« Die Antwort des Brigadiers klang gleichgültig. »Tot«, echote der Alte mechanisch. In jenem Moment, als das Monster ihm die Hand seines Kameraden entriss, hatte er begriffen: Aus diesen Klauen konnte sich kein lebendes Wesen befreien. Homer hatte einfach Glück gehabt, dass die Nagornaja nicht ihn ausgewählt hatte. Der Alte blickte sich noch einmal um. Er konnte es noch immer nicht glauben, dass Achmed für immer verschwunden war. Er starrte auf seine Hand - sie war zerkratzt und blutig. Er hatte ihn nicht festhalten können. Seine Kraft hatte nicht gereicht.
»Achmed wusste, dass er sterben würde«, sagte er leise. »Warum haben sie ausgerechnet ihn genommen, nicht mich?« »Es war noch viel Leben in ihm«, erwiderte der Brigadier. »Sie ernähren sich von menschlichem Leben.«
Homer schüttelte den Kopf. »Das ist ungerecht. Er hat kleine Kinder. So viele Dinge, die ihn hier halten. Na ja, hielten. Ich dagegen bin doch ewig auf der Suche.« »Würdest du Moos fressen wollen?«, unterbrach ihn Hunter und beendete das Gespräch, indem er Homer mit einem Schwung auf die Füße stellte. »Los, weiter. Wir sind spät dran.«
Während er Hunter hinterherlief, dessen Schritt allmählich in einen Trab überging, zerbrach sich Homer den Kopf, warum Achmed und er wieder bei der Nagornaja angelangt waren. Wie eine fleischfressende Orchidee hatte die Station mit ihren Miasmen ihre Sinne verwirrt und sie zu sich zurückgelockt. Aber sie waren doch kein einziges Mal umgekehrt, dessen war sich Homer absolut sicher. Schon begann er selbst an die Krümmung des Raumes zu glauben, von der er seinen leichtgläubigen Wachkameraden so gerne erzählte, dabei war die Lösung viel einfacher. Er blieb stehen und schlug sich an die Stirn: das Verbindungsgleis!Einige Hundert Meter hinter der Nagornaja gab es zwischen dem linken und dem rechten Tunnel eine eingleisige Abzweigung als Wendemöglichkeit für die Züge. Sie bog im spitzen Winkel ab, und deshalb waren sie, blind der Wand folgend, zuerst auf das Parallelgleis gelangt und dann, als die Wand plötzlich aufhörte, aus Versehen zurück zur Station gelaufen. Von wegen Zauberei! Doch nun musste er noch etwas anderes klären. »Warte!«, rief er Hunter zu. Aber der marschierte wie taub voran, und der Alte musste schwer atmend einen Schritt zulegen. Als er den Brigadier eingeholt hatte, versuchte er ihm in die Augen zu sehen und stieß hervor: »Warum hast du uns im Stich gelassen?«
»Ich euch?« Es lag ein spöttischer Unterton in Hunters emotionsloser, metallischer Stimme. Homer biss sich auf die Zunge.
Stimmt, es waren ja Achmed und er gewesen, die von der Station geflüchtet waren und den Brigadier mit den Dämonen allein gelassen hatten.
Je mehr Homer darüber nachdachte, wie rasend und wie aussichtslos Hunter an der Nagornaja gekämpft hatte, desto mehr begriff er, dass die Bewohner dieser Station die Schlacht, die der Brigadier ihnen aufzwingen wollte, gar nicht angenommen hatten. Etwa aus Furcht? Oder hatten sie in ihm eine verwandte Seele erkannt?
Homer nahm seinen Mut zusammen - es blieb noch eine Frage, die schwerste von allen. »Dort an der Nagornaja . Warum haben sie dir nichts getan?«
Es vergingen einige Minuten; Homer wagte nicht nachzufragen. Dann gab Hunter, kaum hörbar, die kurze, mürrische Antwort: »Würdest du verdorbenes Fleisch essen?«
Die Schönheit wird die Welt erlösen, hatte ihr Vater immer im Scherz gesagt. Sascha hatte jedes Mal hastig und mit rotem Gesicht das bemalte
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