Metro 2034
die Zeit und die Menschen nicht spurlos vorübergegangen waren. Keines der farbigen Mosaiken, die der Stolz der Nagatinskaja gewesen waren, war erhalten geblieben.
Und was war mit der Marmorverkleidung der Säulen passiert? Sollte etwa.
Obwohl Achmed keine Antwort erhielt, fuhr er unverdrossen fort zu rufen und zu lachen: Klar, sie hatten Angst vor dem Nebel gehabt und waren wie die Irren davongelaufen, aber das kümmerte ihn jetzt nicht mehr. Homer suchte dagegen unruhig nach etwas an der Wand, fuhr mit dem immer schwächer werdenden Lichtstrahl darüber. Sein Verdacht ließ ihn frösteln.
Endlich fand er sie: eiserne Buchstaben, in den geborstenen Marmor geschraubt. NAGORNAJA. Man kehrt nie zufällig an den gleichen Ort zurück.
Das hatte ihr Vater immer gesagt. Man kehrt zurück, um etwas zu ändern, etwas wiedergutzumachen. Manchmal packt uns der Herr selbst am Kragen und bringt uns zurück an jenen Ort, wo er uns zuletzt aus den Augen verloren hat.
Das tut er entweder, um sein Urteil an uns zu vollstrecken oder um uns eine zweite Chance zu geben.
Deshalb, hatte ihr Vater ihr erklärt, würde er niemals aus der Verbannung an ihre Heimatstation zurückkehren können. Er hatte keine Kraft mehr, um zu rächen, zu kämpfen, zu beweisen. Und es verlangte ihn schon längst nicht mehr nach Sühne. Es war eine alte Geschichte, die ihn sein damaliges, ja fast sein ganzes Leben gekostet hatte. Doch er war überzeugt, dass jeder bekommen hatte, was er verdiente.
Nun lebten sie im ewigen Exil, denn Saschas Vater hatte nichts wiedergutzumachen, und der Herr schaute an dieser Station nicht vorbei.
Der Plan zu ihrer Rettung, nämlich an der Oberfläche ein Auto zu finden, das in all den Jahrzehnten noch nicht verrottet war, es zu reparieren, aufzutanken und sich aus dem Teufelskreis zu befreien, den das Schicksal ihnen vorgezeichnet hatte, dieser Plan war schon lange zu einer Gutenachtgeschichte verkommen.
Für Sascha gab es jedoch noch einen anderen Weg zurück in die Große Metro. Wenn sie an bestimmten Tagen zur Brücke ging, um halbwegs reparierte Geräte, alte Schmuckstücke oder schimmelige Bücher gegen Nahrung und ein paar Patronen einzutauschen, kam es vor, dass die Händler ihr weit mehr anboten.
Sie beleuchteten dann ihre etwas kantige, jungenhafte Gestalt mit dem Scheinwerfer der Draisine, zwinkerten sich gegenseitig zu, schnalzten mit der Zunge, riefen sie zu sich und versprachen ihr alles Mögliche. Das Mädchen machte einen wilden Eindruck. Schweigend und misstrauisch blickte es sie an, angespannt, hinter dem Rücken eine Klinge verborgen. Der weite Männer-Overall konnte ihre Körper-formen nicht verbergen. Schmutz und Maschinenöl in ihrem Gesicht ließen die blauen Augen noch heller leuchten, so hell, dass einige den Blick abwandten. Blonde Haare, ungeschickt geschnitten mit ebenjenem Messer, das sie in der rechten Hand hielt, bedeckten gerade noch die Ohren.
Ihre wund gebissenen Lippen lächelten nie.
Die Männer auf der Draisine begriffen schnell, dass man diesen Wolf nicht mit Brosamen würde zähmen können, und so köderten sie sie mit der Freiheit. Sie antwortete ihnen nie. Deshalb hielt man sie für stumm - was die Sache sogar noch einfacher machte. Doch eines wusste Sascha genau: Worauf auch immer sie sich einließ, sie würde niemals zwei Plätze auf der Draisine kaufen können. Mit ihrem Vater hatten diese Leute zu viele Rechnungen offen, die sie nicht würde begleichen können.
Wie sie so vor ihr standen, gesichtslos und durch ihre schwarzen Armee-Gasmasken näselnd, waren sie mehr als nur Feinde für sie. Sie fand an ihnen nichts Menschliches, nichts, wovon sie hätte träumen können -nicht einmal nachts, im Schlaf.
Also legte sie einfach die Telefone, Bügeleisen und Teekocher auf die Schwellen, trat zehn Schritt zurück und wartete, bis die Händler die Waren eingesammelt hatten. Dann warfen diese ihr ein paar Pakete mit gedörrtem Schweinefleisch hin und verstreuten eine Handvoll Patronen auf den Gleisen - damit sie zusehen konnten, wie sie umherkroch, um sie aufzusammeln. Und dann legte die Draisine langsam ab und verschwand wieder in der echten Welt. Sascha drehte sich um und ging nach Hause, wo ein Berg aus kaputten Geräten, ein Schraubenzieher, eine Lötlampe und ein altes, zur Dynamomaschine umgebautes Fahrrad auf sie warteten. Sie schwang sich auf den Sattel, schloss die Augen und fuhr weit, weit weg. Beinahe vergaß sie, dass sie gar nicht vom Fleck kam. Und die Tatsache,
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