Metro 2034
im Dunkeln zu warten.
Nein, er würde dem Brigadier weiter folgen!Um das Ansteckungsrisiko zu verringern, würde er den Kontakt mit anderen Personen vermeiden, den Rucksack mit seinen Habseligkeiten hier zurücklassen, die Kleidung zerstören, auf ein gnädiges Schicksal hoffen, den Countdown der dreißig Tage dabei aber doch im Auge behalten. Jeden Tag würde er jetzt an seinem Buch arbeiten.
Irgendwie würde sich schon alles lösen, redete er sich ein. Hauptsache, er folgte Hunter. Falls dieser wieder auftauchte.
Es war über eine Stunde vergangen, seit er in der trüben Öffnung am Ende des Tunnels verschwunden war. Homer hatte dem Mädchen zwar beruhigend zugeredet, doch war er selbst keineswegs überzeugt, dass der Brigadier wieder zu ihnen zurückkehren werde.
Je mehr Homer über ihn herausfand, desto weniger verstand er ihn. Es war genauso unmöglich, an dem Brigadier zu zweifeln, wie an ihn zu glauben. Er passte in kein Schema, zeigte nicht die üblichen menschlichen Regungen. Wer sich ihm anvertraute, setzte sich einer Naturgewalt aus.
Aber für Homer war es zu spät: Er hatte es bereits getan. Zu bereuen war jetzt sinnlos.
In der Finsternis erschien ihm die Stille nun nicht mehr ganz so undurchdringlich. Wie durch eine dünne Schale war hin und wieder ein seltsames Flüstern zu hören, ein entferntes Heulen, ein Rascheln. Homer kam es vor wie der torkelnde Gang der Leichenfresser, dann wieder das Gleiten der riesenhaften Gespenster an der Nagornaja und schließlich die Schreie der Sterbenden. Nach nicht einmal zehn Minuten gab er auf.
Er schaltete die Lampe an und zuckte zusammen. Zwei Schritte von ihm entfernt stand Hunter, die Arme vor der Brust verschränkt, den Blick auf das schlafende Mädchen gerichtet. Er schirmte mit einer Hand den blendenden Lichtstrahl von seinen Augen ab und sagte ruhig:
»Sie machen gleich auf.« Sascha träumte. Sie war wieder allein an der Kolomenskaja und wartete auf die Rückkehr ihres Vaters von einem seiner Streifzüge. Er war spät dran, doch sie musste unbedingt auf ihn warten, ihm aus dem Schutzanzug helfen und die Gasmaske abziehen, ihm zu essen geben. Der Tisch war längst gedeckt, sie wusste nicht, womit sie sich beschäftigen sollte. Schon wollte sie sich von dem Tor, das zur Oberfläche führte, entfernen, doch was, wenn er genau in dem Augenblick zurückkam, wenn sie nicht in der Nähe war?
Wer würde ihm aufmachen? Und so saß sie auf dem kalten Boden am Ausgang, Stunden vergingen, Tage zogen vorüber, er kam und kam nicht, doch sie würde ihren Platz nicht verlassen, bis das Tor. Das dumpfe Schlagen sich öffnender Riegel weckte sie es war dasselbe wie an der Kolomenskaja. Sie erwachte lächelnd: Ihr Vater war zurückgekehrt. Dann sah sie sich um und erinnerte sich an alles. Flügel zu vibrieren und fuhr dann langsam zur Seite. Ein Bündel aus Licht schlug durch den Spalt und verbreiterte sich, es roch nach verbranntem Diesel. Der Eingang zur Großen Metro.
Die Sperre war geräuschlos in ihre Aussparung geglitten und gab nun den Blick auf das Innere des Tunnels frei, der zur Awtosawodskaja führte und weiter zum Ring. Auf den Schienen stand eine große Draisine mit rauchendem Motor, einem Scheinwerfer vorne und mehreren Mann Besatzung.
Durch das Fadenkreuz ihrer Maschinengewehre erblickten die Männer zwei blinzelnde Wanderer, die sich die Hände vor die Augen hielten. »Ich will eure Hände sehen!«, ertönte der Befehl.
Dem Beispiel des Alten folgend hob Sascha gehorsam beide Arme. Es war die gleiche Draisine, die an den Handelstagen zu ihnen über die Brücke gekommen war. Diese Leute wussten über Sascha bestens Bescheid - spätestens jetzt würde es der Alte mit dem seltsamen Namen bedauern, dass er das gefesselte Mädchen mitgenommen hatte, ohne zu fragen, wie sie eigentlich an diese gottverlassene Station gekommen war. »Gasmasken weg, Ausweise!«, kommandierte einer von der Draisine.
Während Sascha ihr Gesicht entblößte, verfluchte sie sich wegen ihrer Dummheit. Niemand konnte sie befreien. Das Urteil, das man über ihren Vater - und somit auch über sie gefällt hatte, war noch immer in Kraft. Wie hatte sie so naiv sein können zu glauben, dass diese beiden sie in die Metro bringen würden? Dass man sie an der Grenze nicht bemerken würde?
Die Männer erkannten sie augenblicklich. »He, du darfst hier nicht rein!Du hast zehn Sekunden, um zu verschwinden. Und wer ist das? Ist das dein.«
»Was ist los?«, fragte der Alte verwirrt.
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