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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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einmal fünf Minuten, um die Lage zu klären: Der Weg nach oben war immer offen. Unmöglich war es dagegen, über die Rolltreppe nach unten zu gelangen. Sie überließ dem gutmütigen Wachmann ein halbvolles MP-Magazin und stellte ihren Fuß auf die erste der Stufen, die direkt in den Himmel führten.
    Dann raffte sie die viel zu weiten Hosenbeine und begann mit dem Aufstieg.
12 - ZEICHEN
    Zu Hause, an der Kolomenskaja, war es bis zur Oberfläche gar nicht weit gewesen: exakt 56 flache Stufen. Die Pawelezkaja lag jedoch wesentlich tiefer unter der Erde. Während Sascha die knarzende, von Maschinengewehrsalven durchlöcherte Rolltreppe hinaufkletterte, konnte sie das Ende des Aufstiegs nicht erkennen - ihre Lampe war gerade stark genug, um die zersplitterten Lichtsäulen und die verrosteten, schief hängenden Tafeln mit den verdunkelten Gesichtern und den großen, sinnlosen Buchstaben darauf der Dunkelheit zu entreißen.
    Wozu wollte sie dort hinauf? Wozu sterben? Doch wer brauchte sie noch da unten? Wer brauchte sie wirklich, sie als Menschen, nicht als handelnde Person eines ungeschriebenen Buches? Wozu sich weiter etwas vormachen.
    Als Sascha den Leichnam ihres Vaters an der verwaisten Kolomenskaja zurückgelassen hatte, hatte sie geglaubt, sie würde den Fluchtplan erfüllen, den beide so lange gehegt hatten. Indem sie einen kleinen Teil von ihm mit sich trug, so dachte sie, würde sie auch ihm zur Freiheit verhelfen.
    Doch seither war er ihr kein einziges Mal im Traum erschienen, und wenn sie versuchte, sein Bild in ihrer Fantasie heraufzubeschwören, um mit ihm zu teilen, was sie gesehen und erlebt hatte, so war er ihr undeutlich und wortlos erschienen. Ihr Vater konnte ihr also nicht verzeihen und wollte nicht, dass sie ihn auf diese Weise rettete.
    Unter den Büchern, die er von Zeit zu Zeit mitbrachte und die sie wenn möglich las oder wenigstens durchblätterte, bevor sie sie für Nahrungsmittel und Patronen eintauschte, hatte es ihr ein altes botanisches Bestimmungsbuch besonders angetan. Die Illustrationen darin waren nicht gerade kunstvoll, nur vergilbte Schwarz-Weiß-Fotos und Bleistiftzeichnungen, aber in den anderen Büchern, die sie in die Finger bekam, hatte es überhaupt keine Bilder gegeben. Von allen Pflanzen waren ihr die Winden am liebsten. Oder besser: Sie fühlte sich ihnen nahe, empfand eine Art Seelenverwandtschaft zu ihnen. Genauso wie diese Blumen brauchte auch sie etwas, worauf sie sich stützen konnte. Um nach oben zu wachsen. Um ans Licht zu kommen.
    Gerade jetzt hätte sie einen mächtigen Stamm gebraucht, an den sie sich lehnen, den sie umarmen konnte. Nicht, um von dem Saft eines fremden Körpers zu leben oder um ihm Licht und Wärme zu rauben, nein. Sie war einfach ohne ihn zu weich, zu biegsam - sie hatte zu wenig Rückgrat, um selbst gerade zu stehen. Allein auf sich gestellt, würde sie auf dem Boden kriechen müssen. Ihr Vater hatte immer gesagt, sie dürfe sich von niemandem abhängig machen und niemandem vertrauen. Außer ihm hatte es an jenem gottverlassenen Ort niemanden gegeben, und er hatte gewusst, dass er nicht ewig leben würde. Er hätte es am liebsten gesehen, wenn sie nicht wie ein Efeu, sondern wie eine Schiffskiefer aufgewachsen wäre. Doch hatte er dabei vergessen, dass dies der weiblichen Natur widersprach.
    Sascha hätte ohne ihn überlebt. Auch ohne Hunter. Aber die Vereinigung mit einem anderen Menschen war für sie der einzige Grund gewesen, an die Zukunft zu denken. Als sie den Brigadier auf der rasenden Draisine umschlungen hatte, hatte ihr Leben neuen Halt gewonnen. Sie erinnerte sich, dass es gefährlich war, sich anderen anzuvertrauen, und unwürdig, von ihnen abzuhängen. Umso mehr Überwindung hatte es sie gekostet, sich Hunter zu erklären.
    Sascha hatte sich nur an ihn lehnen wollen, doch er hatte geglaubt, dass sie sich an seine Stiefel klammerte. Nun, da niemand sie stützte, und sie zudem noch in den Schmutz getreten worden war, erschien es ihr unter ihrer Würde, noch weiter zu suchen. Er hatte sie fortgejagt, gesagt, sie solle nach oben gehen - nun gut, dann sollte es eben so sein. Wenn ihr dort etwas geschah, so war es seine Schuld; es stand allein in seiner Macht, dies zu verhindern.
    Endlich waren die Stufen zu Ende. Sascha stand am Rand eines großen Marmorsaals, dessen geriefte Metalldecke an einigen Stellen eingestürzt war. Durch die Löcher schlugen in einiger Entfernung grelle Strahlen herein. Sie waren von erstaunlicher, grauweißer

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