Metro 2034
dem er über das vermisste Mädchen hätte sprechen können, doch was blieb Homer anderes übrig? Er räusperte sich und trat ein. Hunter lag schwer atmend da, den Blick starr zur Decke gerichtet. Sein rechter Arm ruhte auf der Bettdecke, die zusammengeballte Faust zeigte frische Aufschürfungen. Aus kleinen Kratzern tropfte Blut auf die Decke, doch der Brigadier schien es nicht zu bemerken.
»Wann kannst du aufbrechen?«, fragte er Homer, ohne sich nach ihm umzudrehen. »Von mir aus sofort.« Der Alte zögerte. »Es ist nur. Ich kann das Mädchen nicht finden. Und wie willst du in deinem Zustand gehen? Du bist doch noch ganz.«
»Ich werd's überleben«, entgegnete der Brigadier. »Außerdem ist der Tod nicht das Schlimmste. Pack deine Sachen. Ich bin in eineinhalb Stunden wieder auf den Beinen. Wir gehen zur Dobryninskaja.«
»Mir reicht eine Stunde«, sagte Homer hastig. »Aber erst muss ich sie finden. Ich will, dass sie mit uns kommt . Ich brauche sie unbedingt, verstehst du .«
»In einer Stunde gehe ich«, unterbrach ihn Hunter. »Mit dir oder ohne dich - und ohne sie.« »Ich verstehe das einfach nicht. Wohin kann sie nur verschwunden sein?« Homer seufzte enttäuscht. »Wenn ich nur wüsste.« »Ich weiß es«, sagte der Brigadier unbewegt. »Aber von dort kannst du sie nicht zurückholen. Geh packen.«
Homer wich zurück und blinzelte. Er war es gewohnt, sich auf das übermenschliche Gespür seines Gefährten zu verlassen, doch jetzt weigerte er sich, daran zu glauben.
Was, wenn Hunter wieder log -diesmal, um eine überflüssige Last loszuwerden? »Sie hat mir gesagt, dass du sie brauchst.« »Ich brauche dich.« Hunter neigte den Kopf in seine Richtung. »Und du mich.« »Wozu?«, flüsterte Homer. Der Brigadier hörte es. »Von dir hängt viel ab.« Er schloss langsam die Augen und öffnete sie wieder. Homer kam es vor, als wollte der herzlose Brigadier ihm zuzwinkern, und ihm trat kalter Schweiß auf die Stirn.
Das Bett quietschte, als Hunter sich mit zusammengebissenen Zähnen aufsetzte. »Geh jetzt. Pack deine Sachen, damit du rechtzeitig da bist.« Bevor er das Zimmer verließ, verharrte Homer noch einen Augenblick und hob das rote Puderdöschen auf, das einsam in einer Ecke herumlag. Der Deckel hatte einen Sprung, die Scharniere waren verbogen und lose.
Der Spiegel war zersplittert. Homer wandte sich erregt um und sagte zu Hunter: »Ich kann ohne sie nicht gehen.«
Die Chimäre war fast doppelt so groß wie Sascha. Ihr Kopf stieß gegen die Decke. Die krallenbewehrten Pfoten hingen bis auf den Boden herab.
Sascha wusste, wie blitzartig sich diese Tiere fortbewegten, mit welch unbegreiflicher Geschwindigkeit sie angriffen. Um sie zu erreichen, sie mit einer Bewegung zu erlegen, musste die Kreatur nur eine ihrer Extremitäten nach vorn schleudern. Doch aus irgendeinem Grund zögerte das Tier.
Es war sinnlos zu schießen, und Sascha hätte es auch gar nicht geschafft, ihr Gewehr zu heben. Sie machte einen unentschlossenen Schritt nach hinten, auf den Durchgang zu. Die Chimäre gab einen ächzenden Laut von sich, wankte auf das Mädchen zu . Doch es geschah nichts weiter. Das Monster blieb dort stehen und starrte sie weiter mit seinem blinden Blick an.
Sascha wagte noch einen Schritt. Und noch einen. Ohne sich von dem Tier abzuwenden, ohne ihm seine Angst zu zeigen, näherte sie sich langsam dem Ausgang. Die Kreatur folgte ihr wie gebannt, nur wenige Meter von ihr entfernt, als wollte sie sie zur Tür begleiten.
Erst als Sascha nur noch etwa zehn Meter von der unerträglich gleißenden Öffnung entfernt war, hielt sie es nicht mehr aus und begann zu laufen. Das Tier brüllte auf und stürzte vorwärts.
Sascha flog geradezu hinaus und rannte weiter mit zusammengekniffenen Augen, bis sie stolperte, sich überschlug und über einen rauen, harten Boden schlitterte. Sie erwartete, dass die Chimäre sie jeden Augenblick erreichen und in Stücke reißen würde, doch ihre Verfolgerin hatte aus irgendeinem Grund von ihr abgelassen. Eine lange Minute verstrich, dann noch eine . Um sie war nichts als Stille.
Sascha hielt die Augen geschlossen, während sie in ihrer Tasche nach der selbstgemachten Brille kramte, die sie dem Wachposten abgekauft hatte. Diese bestand aus zwei Flaschenböden aus dunklem grünem Glas, einem Gestell aus zwei Blechringen und einem Gummiriemen. Die Brille ließ sich über die Gasmaske ziehen, so dass die runden Gläser genau auf den Sichtfenstern der Gummimaske
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