Metro2033
Schritte, Schweißtropfen im Gesicht. Dabei waren sie noch gar nicht lange unterwegs. Offenbar war diese Strecke für Khan viel anstrengender als für ihn. Während er beobachtete, wie die Kräfte seines Begleiters schwanden, musste er unwillkürlich daran denken, dass Khan ihn gerettet hatte. Wäre Artjom mit der Karawane in den rechten Tunnel gegangen, ihn hätte unweigerlich dieser rätselhafte Tod ereilt, er wäre spurlos verschwunden.
Dabei waren sie zahlreich gewesen - zu sechst oder so. Wenn die eiserne Regel versagt hatte, so hatte Khan dies entweder geahnt, oder der magische Mentor hatte es ihm eingeflüstert. Dabei war es doch nichts weiter als ein farbiges Stück Papier. Sollte es ihm wirklich geholfen haben? Der Abschnitt zwischen der Turgenewskaja und Kitai-gorod war ganz sicher orange gewesen. Oder doch schwarz?
»Was ist das?«, fragte Tus plötzlich, blieb stehen und sah Khan beunruhigt an. »Spürst du das? Hinter uns ...«
Artjom wollte schon zu einem sarkastischen Kommentar über Tus' schwache Nerven ansetzen, denn er selbst nahm rein gar nichts wahr. Sogar jenes schwere Gefühl der Beklemmung und Gefahr, das an der Turgenewskaja über sie gekommen war, hatte seine Klauen gelockert. Doch zu seinem Erstaunen erstarrte Khan sogleich, gebot mit einer Handbewegung Stille und drehte sich in die Richtung, aus der sie gekommen waren.
»Was für ein Gespür«, sagte er nach einer halben Minute anerkennend. »Wir sind begeistert. Die Queen ist begeistert«, fügte er aus irgendeinem Grund hinzu. »Wenn wir hier rauskommen, sollten wir uns unbedingt einmal genauer unterhalten.« Er fragte Artjom: »Hörst du nichts?«
»Nein, alles ruhig.« Schwer zu sagen, was für ein Gefühl Artjom empfand: Eifersucht? Kränkung? Ärger, dass sein Beschützer sich so lobend über diesen ungehobelten bärtigen Teufel äußerte, der sie noch vor ein paar Stunden beinahe fertiggemacht hätte?
»Seltsam. Ich dachte, dass in dir die Begabung heranwächst, den Tunnel zu hören. Nun, vielleicht hat sie sich noch nicht ganz entfaltet.« Khan schüttelte den Kopf und wandte sich Tus zu. »Du hast recht. Es kommt hierher. Wir müssen weiter, und zwar schneller.« Er lauschte, sog dabei beunruhigt die Luft ein, ganz wie ein Wolf. »Es rollt auf uns zu wie eine Welle. Wir müssen weiter! Wenn es uns erreicht, ist das Spiel aus.« Mit diesen Worten stürzte er los.
Artjom folgte ihm auf dem Fuß und war fast gezwungen zu laufen, um nicht zurückzufallen. Der Bärtige, der nun neben ihnen marschierte, machte wegen seiner kurzen Beine schnelle Schritte und atmete schwer.
So gingen sie vielleicht zehn Minuten, und die ganze Zeit über begriff Artjom nicht, warum sie so hetzten, atemlos, stolpernd. Der Tunnel hinter ihnen war leer und ruhig, es gab keine Anzeichen einer Verfolgung. Doch plötzlich spürte er es. Tatsächlich war ihnen etwas auf den Fersen, holte mit jedem Schritt auf - keine Welle, sondern eher ein Wirbel, ein schwarzer Wirbel, der Leere verbreitete. Wenn sie es nicht schafften, wenn es ihren kleinen Trupp erreichte, so würde sie das gleiche Schicksal ereilen wie jene sechs und wie so viele Draufgänger und Dummköpfe, die die Tunnel in einem Moment betreten hatten, als dort teuflische Orkane stürmten, die alles Lebende hinwegrissen. Ein Feuerstrom aus Vorahnungen jagte Artjom durch den Kopf, und beunruhigt sah er zu Khan hinüber. Dieser fing seinen Blick auf und begriff. »Na, ist es bei dir auch angekommen?«, stieß er hervor. »Das ist schlimm. Das heißt, es ist schon ganz nah.«
»Schneller!«, rief Artjom heiser. »Solange es noch nicht zu spät ist!«
Khan beschleunigte und lief nun mit weit ausholenden Schritten voran. Von der Müdigkeit, die der Junge an ihm entdeckt zu haben glaubte, war keine Spur mehr zu merken, und wieder hatten seine Gesichtszüge etwas Animalisches angenommen. Um mit ihm mitzuhalten, begann Artjom ebenfalls zu laufen. Eine Sekunde lang schien es, als könnten sie sich von ihrem unerbittlichen Verfolger lösen, doch plötzlich stolperte Tus über eine Schwelle und fiel der Länge nach auf die Gleise, wobei er sich Gesicht und Hände blutig schlug.
Sie liefen noch ein paar Schritte weiter, bis sie zum Stillstand kamen, und im selben Moment, in dem Artjom begriff, dass der Bärtige gefallen war, ertappte er sich schon bei dem Gedanken, dass er nicht stehen bleiben und umkehren, sondern ihn zum Teufel schicken wollte, diesen kurzbeinigen Schleimer mit seiner ach so wunderbaren
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