Metro2033
sie nicht. Irgendwas muss dort passiert sein, in ihren eigenen Reihen, und deswegen halten sie jetzt still. Vielleicht sammeln sie aber auch nur ihre Kräfte. Jedenfalls käme uns ein Bündnis schon recht. Noch dazu mit unseren direkten Nachbarn. Das ist doch für beide Seiten von Nutzen.«
»Und dann haben wir endlich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit«, giftete Andrej und zählte demonstrativ mit den Fingern mit.
»Die Geschichte interessiert euch wohl nicht mehr?«, sagte Artjom leicht gekränkt.
»Aber nein, erzähl nur«, erwiderte Andrej. »Pjotr und ich streiten nachher weiter. Das ist zwischen uns beiden ein ewiges Thema.«
»Na gut. Jedenfalls soll unser Vorsitzender angeblich einverstanden sein. Nur die Details müssen noch diskutiert werden. Bald wird es eine Versammlung geben. Und dann ein Referendum.«
Andrej verzog den Mund. »Ja, ja. Ein Referendum. Wenn das Volk >ja< sagt, ist alles klar. Sagt es aber >nein<, hat es nur schlecht nachgedacht. Und soll sich die Sache bitte schön noch mal überlegen.«
»Und an der Rischskaja, was tut sich da?«, fragte Pjotr Andrejewitsch weiter, ohne auf Andrej zu achten.
»Na ja, was kommt denn dahinter? Der Prospekt Mira, unsere Grenze zur Hanse. Bei der Hanse, sagt mein Stiefvater, hat sich nichts geändert: Der Frieden mit den Roten gilt noch immer. An den Krieg erinnert sich da niemand mehr ...«
Hanse - so hieß die Gemeinschaft der Ringstationen. Die Ringlinie verband alle Metrolinien miteinander. Jede ihrer Stationen lag im Schnittpunkt mit einem der Handelswege. Somit waren sie von Anfang an zu Treffpunkten für Kaufleute aus dem gesamten Metronetz geworden. Da sie sehr schnell reich wurden und schon bald begriffen, dass dieser Reichtum viele Begehrlichkeiten weckte, beschlossen sie sich zusammenzuschließen. Die offizielle Bezeichnung war viel zu umständlich, und so nannte man die Gemeinschaft bald nur noch Hanse, nach dem mittelalterlichen Bund deutscher Handelsstädte. Anfangs umfasste die Hanse nur einen Teil der Ringstationen - die Vereinigung vollzog sich erst allmählich. Zuerst gab es da den Abschnitt zwischen der Kiewskaja und dem Prospekt Mira, den sogenannten Nördlichen Bogen, dem sich die Stationen Kurskaja, Taganskaja und Oktjabrskaja angeschlossen hatten. Später kamen die Pawelezkaja und die Dobryninskaja hinzu, und es bildete sich ein zweiter Bogen: der Südliche. Das größte Problem und wichtigste Hindernis auf dem Weg zur Vereinigung der beiden war jedoch die Sokolnitscheskaja-Linie.
»Die Sache ist nämlich so«, hatte Artjoms Stiefvater einmal erzählt, »die Sokolnitscheskaja-Linie war schon immer etwas Besonderes. Wenn du auf den Plan siehst, bemerkst du das sofort. Zum einen ist sie gerade wie ein Pfeil. Zum anderen tiefrot, und zwar auf allen Plänen. Die Stationsnamen sprechen ja für sich. Da ist zum Beispiel die Krasnosselskaja, benannt nach dem >Roten Dorf<, das 1944 aus faschistischer Besatzung befreit wurde. Dann Krasnyje Worota, das >Rote Tor<, die Komsomolskaja, die Biblioteka imeni Lenina, die Lenin-Bibliothek, und dann noch die Leninskijegory, die Leninberge ...«
Vielleicht waren es diese Namen, oder aber irgendein anderer Grund, dass sich mit der Zeit auf dieser Linie all jene Menschen versammelten, die sich nach der ruhmreichen sozialistischen Vergangenheit zurücksehnten. Verschiedene Pläne, einen Sowjetstaat wiederzuerrichten, fielen dort auf besonders fruchtbaren Boden. Als sich die erste Station offiziell zu den Idealen des Kommunismus und einer sozialistischen Regierungsform bekannte, schloss sich alsbald die daneben gelegene an. Dann ließen sich die Leute am anderen Ende des Tunnels von der revolutionären Begeisterung anstecken, stürzten ihre Administration, und nun war kein Halten mehr: Die letzten noch lebenden Kriegsveteranen, ehemalige Komsomol-Mitarbeiter und Parteifunktionäre und natürlich das »Proletariat« - alle liefen sie zu den revolutionären Stationen über.
Sie gründeten ein Komitee, das für die Verbreitung der neuen Revolution und der kommunistischen Ideologie in der gesamten Metro verantwortlich sein sollte, mit dem leninsch anmutenden Namen »Interstationale«. Dieses Komitee bildete Einheiten von Berufsrevolutionären und -Propagandisten aus und ließ sie ins Lager der Feinde ausschwärmen. Insgesamt verlief alles ohne viel Blutvergießen, da sich die ausgehungerten Menschen der wenig produktiven Sokolnitscheskaja-Linie nach der »Wiederherstellung von Gerechtigkeit«
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