Metro2033
»Und, was noch?«
Eine seltsame Frage. Sie verlangte nach einer Fortsetzung, zu der es keinen Anfang gegeben hatte. Artjom war verwirrt.
Der Blonde half ihm auf die Sprünge. »Artjom, Artjom ... Das bedeutet doch überhaupt nichts. Wo lebst du, wohin gehst du, woran glaubst du, wer ist schuld und was tun?«
»Genau wie damals, weißt du noch?«, sagte Sergej Andrejewitsch auf einmal aus irgendeinem Grund.
Jewgeni Dmitrijewitsch musste lachen. »Jaja!«
»Ich wohne an der WDNCh, zumindest habe ich das mal ...«, begann Artjom zögerlich. Er blickte die beiden noch einmal an. Vielleicht war es besser, von hier abzuhauen, solange es noch nicht zu spät war ... Doch das, worüber die zwei gesprochen hatten, bevor sie ihn bemerkten, hielt ihn am Feuer zurück. »Was ist das für eine Metro-2? Bitte verzeihen Sie, ich habe ein wenig gelauscht.«
Sergej Andrejewitsch lächelte gönnerhaft. »Du möchtest also die größte Legende der Metro hören? Was genau willst du denn wissen?«
»Sie haben von einer unterirdischen Stadt gesprochen und von irgendwelchen Beobachtern.«
Jewgeni Dmitrijewitsch sah an die Decke, stieß ein paar Rauchringe aus und begann gemächlich zu erzählen. »Nun, die Metro-2 ist der Rückzugsort der Götter des sowjetischen Pantheons für die Zeit des Ragnarök, wenn die Mächte des Bösen obsiegen. Die Legenden besagen, dass unter dieser Stadt, die tot dort oben liegt, noch eine weitere Metro errichtet wurde: eine Metro für Auserwählte. Wenn du so willst, ist das, was du hier ringsum siehst, die Metro für die Herde. Das, wovon die Legenden sprechen, ist für die Hirten und ihre Hunde. Am Anfang der Anfänge, als die Hirten die Macht über die Herde noch nicht verloren hatten, regierten sie von dort, doch dann erschöpfte sich ihre Kraft, und die Schafe verstreuten sich. Nur ein Tor verband die beiden Welten, und wenn man der Überlieferung glauben will, befand es sich dort, wo die Karte jetzt von einer blutroten Schramme in zwei Teile geteilt wird: auf der Sokolnitscheskaja-Linie, irgendwo jenseits der Sportiwnaja. Dann geschah etwas, wodurch der Durchgang zur Metro-2 für immer verschlossen wurde, die Menschen hier verloren alles Wissen darüber, was dort vor sich ging, und schließlich wurde die Existenz der Metro-2 zum Mythos. Aber« - Jewgeni Dmitrijewitsch hob den Zeigefinger - »die Tatsache, dass es keinen Zugang zur Metro-2 mehr gibt, bedeutet nicht, dass sie nicht mehr existiert. Im Gegenteil: Sie ist um uns. Ihre Tunnel sind verwoben mit den Gängen unserer Untergrundbahn, und ihre Stationen befinden sich vielleicht sogar nur wenige Schritte hinter den Mauern unserer Stationen. Beide Bauwerke sind untrennbar, sie sind wie die Blutbahn und die Lymphgefäße desselben Organismus. Und es gibt Menschen, die nicht glauben können, dass die Hirten ihre Herde einfach so dem Schicksal überlassen haben. Sie behaupten, dass jene unmerklich in unserem Leben anwesend sind, dass sie uns lenken, jedem unserer Schritte folgen, ohne dabei jedoch irgendwie in Erscheinung zu treten oder sich zu erkennen zu geben. Das ist der Glaube an die Unsichtbaren Beobachter.«
Die Katze, die sich neben der verrußten Büste zusammengerollt hatte, hob den Kopf, öffnete die riesigen, strahlend grünen Augen und sah Artjom überraschend klar und bewusst an. Ihr Blick hatte nichts mit dem eines Tieres gemein, ja Artjom war sich nicht sicher, ob nicht durch ihre Augen jemand anders ihn beobachtete. Doch schon gähnte die Katze mit herausgestreckter rosa Zunge, drückte ihre Schnauze wieder in die Unterlage und döste weiter, so dass sich die Illusion verflüchtigte. Artjom räusperte sich. »Aber warum wollen sie nicht, dass die Menschen von ihnen wissen?«
»Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen haben die Schafe gesündigt, denn sie verstießen ihre Hirten in einem Augenblick, als diese schwach waren. Zum anderen haben sich die Hirten, seit die Metro-2 von unserer Welt abgeschnitten ist, anders entwickelt als wir, und nun sind sie keine Menschen mehr, sondern Wesen einer höheren Ordnung, deren Logik uns unverständlich ist und deren Gedanken sich uns nicht erschließen. Niemand weiß, welches Schicksal sie für die Metro erdacht haben, jedenfalls sind sie in der Lage, alles zu verändern. Ja, sie könnten uns sogar jene wunderschöne, verlorene Welt zurückgeben, denn sie haben ihre alte Macht wieder erlangt. Aber da wir uns einmal gegen sie aufgelehnt und sie verraten haben, sind sie an unserem Schicksal
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