Metro2033
ihm Michail Porfirjewitsch erzählt hatte. So zog er es vor, den Zug nicht zu betreten, sondern schlich sich, eng an die Tunnelwand gedrückt, an der langen Kette von Waggons vorbei. Als er den Zug endlich passiert hatte, atmete er auf und hastete sogleich weiter.
Endlich hatten sich seine Beine daran gewöhnt, im Dunkeln zu laufen, als plötzlich vor ihm, ein wenig seitlich versetzt, das rötliche Licht eines Lagerfeuers aufflammte.
Artjoms Erleichterung war unermesslich. Nun wusste er, dass er sich noch in der wirklichen Welt befand und dass in seiner Nähe Menschen waren. Es war ihm gleich, was sie von ihm hielten. Es spielte keine Rolle, ob es Mörder, Diebe, Sektierer oder Revolutionäre waren, Hauptsache, es waren Geschöpfe wie er: aus Fleisch und Blut. Nicht eine Sekunde lang zweifelte er daran, dass sie ihn aufnehmen würden und er sich hier vor dem riesigen, unsichtbaren Geschöpf verbergen konnte, das ihn ersticken wollte, oder auch vor seinem eigenen, wild gewordenen Verstand.
Das Bild, das sich seinen Augen bot, war jedoch so seltsam, dass er nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob er wirklich in die Realität zurückgekehrt war oder ob er noch immer durch irgendwelche Winkel seines Bewusstseins irrte.
An der Station Poljanka - und nur um diese konnte es sich handeln - brannte lediglich ein einziges Feuer, aber da es keine anderen Lichtquellen gab, kam dieses Feuer Artjom heller vor als elektrische Lampen. Davor saßen zwei Männer, der eine mit dem Rücken, der andere mit dem Gesicht zu ihm, doch keiner der beiden hatte ihn gesehen oder gehört - als wären sie durch eine unsichtbare Wand von der Außenwelt isoliert.
Die gesamte Station war, soweit man dies im Schein des Feuers erkennen konnte, vollgestopft mit unglaublichem Schrott: Artjom konnte die Umrisse von kaputten Fahrrädern, Autoreifen, Möbel- und Geräteresten ausmachen, sowie einen riesigen Altpapierhaufen, aus dem die beiden von Zeit zu Zeit einen Packen Zeitungspapier oder ein Buch herauszogen und ins Feuer warfen. Direkt vor dem Feuer stand auf einem Stück Stoff eine weiße Gipsbüste, neben der eine Katze zusammengerollt schlief. Sonst war keine lebende Seele zu sehen.
Der eine der Stationsbewohner war gerade dabei, dem anderen etwas mit bedächtigen Worten zu erzählen, und während Artjom näher kam, begann er ihn allmählich zu verstehen: »... diese Gerüchte über die Universität sind völlig übertrieben. Und übrigens grundfalsch. Das klingt alles nach dem alten Mythos von der unterirdischen Stadt in Ramenki. Ein Teil der Metro-2. Natürlich lässt sich nichts mit hundertprozentiger Gewissheit ausschließen, überhaupt kann man ja nichts mehr mit absoluter Gewissheit sagen. Dies hier ist das Reich der Mythen und Legenden. Die Metro-2 wäre natürlich der zentrale, goldene Mythos, wenn mehr Menschen davon wüssten. Allein der Glaube an die Unsichtbaren Beobachter!«
Artjom war schon ganz nahe an sie herangetreten, als derjenige, der ihm den Rücken zuwandte, zu seinem Gegenüber sagte: »Es ist jemand da.«
Der Zweite nickte. »Natürlich.«
»Du kannst dich zu uns setzen«, sagte der Erste zu Artjom, ohne sich nach ihm umzudrehen. »Weiter geht es jetzt sowieso nicht.«
»Warum?«, fragte Artjom beunruhigt. »Ist dort jemand, in diesem Tunnel?«
»Natürlich nicht. Wer wird sich da schon hineinwagen? Ich sage doch, es geht nicht weiter. Also setz dich.«
»Danke.« Artjom machte einen unsicheren Schritt vorwärts und ließ sich neben der Büste auf dem Boden nieder.
Beide waren sie bestimmt über vierzig. Der eine grau meliert, mit einer quadratischen Brille, der andere blond und schlank mit einem kleinen Bart. Sie trugen abgewetzte Wattejacken, die auf irritierende Weise nicht zu ihren Gesichtern passten, und rauchten aus einem Gerät mit einem dünnen Schlauch, das so aussah wie eine Wasserpfeife und einen schwindelerregenden Geruch verbreitete.
»Wie heißt du?«, erkundigte sich der Blonde.
»Artjom«, erwiderte dieser, während er die beiden seltsamen Männer misstrauisch musterte. »Artjom heißt er«, sagte der Blonde zu dem anderen. »Ist doch klar«, murmelte dieser.
»Ich bin Jewgeni Dmitrijewitsch. Und das ist Sergej Andrejewitsch«, sagte der Blonde.
»Muss das denn unbedingt sein, so offiziell?«, fragte Sergej Andrejewitsch.
»Oh ja, Serjoscha«, erwiderte Jewgeni Dmitrijewitsch, »in unserem Alter sollten wir das ausnutzen. Von wegen Status und so.«
Sergej Andrejewitsch wandte sich Artjom zu:
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