Metro2033
ein Wort zu sagen.
Sogleich zupfte ihn der zweite Junge an der Hose und fragte: »Papa, Papa, hast du uns noch Hülsen mitgebracht? Oleg hat jetzt mehr, und außerdem hat er die langen gekriegt!«
»Wir kommen von der Stationsleitung«, erklärte Melnik. »Wir gehen mit eurer Schicht in den Tunnel. Sozusagen als Verstärkung.«
»Wozu denn eine Verstärkung?«, murmelte der Mann, doch dann glätteten sich seine Züge. »Ich bin Anton. Lasst uns erst etwas essen, dann gehen wir.« Er deutete auf die gefüllten Säcke, die als Stühle dienten. »Setzt euch.«
Obwohl die Gäste zunächst dankend ablehnten, bekamen sie beide jeder eine dampfende Schüssel mit rätselhaften Knollen vorgesetzt, die Artjom noch nie gesehen hatte. Fragend blickte er Melnik an, doch der spießte ohne große Umschweife ein Stück auf seine Gabel, ließ es im Mund verschwinden und begann zu kauen. Auf seinem sonst versteinerten Gesicht spiegelte sich jetzt sogar so etwas wie Wohlbehagen, und das machte Artjom Mut. Die Knollen schmeckten süßlich und waren etwas fett, schon nach wenigen Minuten fühlte man sich satt. Artjom wollte zuerst fragen, was sie denn dort aßen, doch dann besann er sich eines Besseren. Es schmeckte, damit basta. Schließlich gab es ja in der Metro auch Orte, wo man Rattenhirne als Delikatesse betrachtete.
Der Junge, dem Melnik die Hülsen geschenkt hatte, hatte schon bald die Hälfte seiner Portion gegessen und den Rest in seiner Schüssel verschmiert. Nun fragte er seinen Vater: »Papa, darf ich heute mit dir auf Wache gehen?«
»Nein, Oleg, das weißt du doch«, erwiderte Anton stirnrunzelnd.
Die Frau nahm den Jungen an der Hand. »Oleschenka! Was fällt dir ein? Der Wachdienst ist für kleine Jungs verboten!«
»Mama, aber ich bin doch gar kein kleiner Junge mehr.« Oleg versuchte besonders tief zu sprechen. Er warf einen verlegenen Blick auf die Gäste.
Seine Mutter jedoch hob warnend ihre Stimme. »Denk nicht einmal dran! Willst du mich etwa in den Wahnsinn treiben?«
»Ist ja gut...«, murmelte der Junge. Doch kaum hatte sich seine Mutter ans andere Ende des Zelts entfernt, zupfte der Junge seinen Vater am Ärmel und flüsterte laut: »Aber letztes Mal hast du mich doch auch mitgenommen.«
»Kein Wort mehr!«, entgegnete Anton.
»Trotzdem ...« Die letzten Worte brummte der Kleine vor sich hin, so dass Artjom nichts mehr verstand.
Als Anton fertig gegessen hatte, schloss er eine Eisenkiste auf, die am Boden stand, holte eine alte AK-47 hervor und sagte zu seiner Frau: »Heute habe ich eine kurze Schicht, in sechs Stunden bin ich wieder zurück.«
Auch Melnik und Artjom erhoben sich. Der kleine Oleg blickte seinen Vater verzweifelt an und druckste unruhig auf seinem Platz herum, doch wagte er nicht, etwas zu sagen.
Vor dem schwarzen Schlund des Tunnels saßen zwei Posten am Rand des Bahnsteigs und ließen die Beine baumeln, während ein dritter auf den Gleisen stand und in die Dunkelheit starrte. An der Wand hatte jemand den Schriftzug ARBAT-KONFÖDERATION HERZLICH WILLKOMMEN! aufgemalt. Die Buchstaben waren jedoch schon halb verwischt, offenbar hatte man die Farbe lange nicht mehr erneuert. Die Wachleute unterhielten sich flüsternd, mitunter zischten sie einander sogar an, wenn einer wieder mal zu laut sprach. Neben dem Stalker und Artjom begleiteten Anton noch zwei Männer von der Station. Beide waren mürrische, nicht sehr gesprächige Typen. Als sie sich begrüßten, hatte Artjom nicht einmal ihre Namen verstanden.
Nachdem sie einige Worte mit den Wachen gewechselt hatten, stiegen sie auf die Gleise herab und gingen langsam den Tunnel entlang. Das runde Gewölbe unterschied sich in nichts von den anderen, Boden und Wände sahen aus, als hätte ihnen die Zeit nichts anhaben können. Und doch erfasste Artjom schon mit den ersten Schritten jenes unangenehme Gefühl, von dem die Händler gesprochen hatten. Aus der Tiefe kroch ihnen eine dunkle, unerklärliche Angst entgegen. Auf der ganzen Strecke war es still, nur in der Ferne hörten sie vereinzelt Stimmen: Dort befand sich die zweite Wache.
Dies war einer der seltsamsten Posten, den Artjom je gesehen hatte. Einige Männer saßen auf Sandsäcken um einen einfachen, selbstgebauten Eisenofen herum. Ein wenig abseits stand ein Eimer mit Heizöl. Die Gesichter der Wachleute wurden vom Widerschein des Feuers, das durch die kleinen Ritzen im Ofen flackerte, sowie von der zitternden Flamme einer Öllampe an der Tunneldecke beleuchtet. Die Lampe
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