Metro2033
schwankte ein wenig in der verbrauchten Tunnelluft, wodurch die Schatten der ruhig dasitzenden Menschen zu eigenem Leben erweckt wurden. Am meisten verblüffte Artjom jedoch, dass die Wächter seelenruhig mit dem Rücken zum Tunnel saßen. Sie schützten sich mit den Händen vor den blendenden Taschenlampen der anderen und machten sich fertig zum Aufbruch.
Anton schöpfte mit einer Kelle das Heizöl aus dem Eimer. »Und, wie war's?«, fragte er.
Der Schichtälteste grinste halbherzig. »Wie immer. Leer. Ruhig. Zu ruhig ...« Er schniefte, zog die Schultern ein und machte sich auf in Richtung Station.
Während die anderen ihre Sandsäcke näher an den Ofen rückten und sich hinsetzten, wandte sich Melnik an Artjom. »Sollen wir mal nachsehen, wie es weiter hinten aussieht?«
»Da gibt es nichts zu sehen. Ein gewöhnlicher Einsturz, wie alle anderen auch.« Anton deutete über die Schulter in Richtung Park Pobedy. »Ich hab's mir schon hundert Mal angeschaut. Aber wenn du unbedingt willst, geh ruhig, es sind nur fünfzehn Meter von hier.«
Schon vor der eigentlichen Einsturzstelle war der Tunnel in desolatem Zustand. Der Boden war mit Brocken aus Stein und Erde übersät, die Decke hatte sich an einigen Stellen gesenkt, die Wände waren teils eingestürzt und hatten sich verengt. Rechter Hand gähnte eine schiefe Türöffnung, offenbar der Eingang zu einigen Diensträumen. Am Ende des Gangs verschwanden die rostigen Gleise in einem Haufen zerbrochener Betonblöcke, vermischt mit Pflastersteinen und Erde. Auch die stählernen Versorgungsrohre an der Wand tauchten direkt in diesen Erdwall ein.
Melnik beleuchtete den eingestürzten Tunnel mit der Taschenlampe. Da er hier keine Geheimgänge fand, zuckte er mit den Schultern und kehrte zu der schiefen Tür zurück. Er richtete den Lichtstrahl hinein, sah sich um, jedoch ohne über die Schwelle zu treten.
Als sie zum Ofen zurückkamen, fragte er Anton: »Auf der zweiten Strecke auch keine Veränderungen?«
»Alles noch so wie vor zehn Jahren.«
Sie schwiegen lange. Jetzt, da sie die Taschenlampen ausgemacht hatten, kam das Licht wieder nur aus dem halb verschlossenen Eisenofen sowie von der winzigen Flamme hinter dem verrußten Glas der Öllampe. Die Dunkelheit verdichtete sich so sehr, dass es schien, als wolle sie sämtliche Fremdkörper verdrängen. Wahrscheinlich rückten die Wachleute deswegen so nah um den Ofen, denn nur hier durchschnitten die gelblichen Lichtstrahlen die Dunkelheit und Kälte, und es atmete sich freier.
Artjom kämpfte lange mit sich, doch schließlich wurde sein Bedürfnis nach irgendeinem Geräusch so stark, dass er seine Schüchternheit über Bord warf, sich räusperte und Anton ansprach. »Ich bin neu hier. Was ich nicht verstehe: Warum haltet ihr hier Wache, wenn dort gar nichts ist? Ihr schaut ja nicht mal dorthin!«
»Anordnung von oben«, erklärte der Schichtführer. »Sie sagen, dass hier nur deswegen nichts los ist, weil wir Wache halten.«
»Und was ist hinter dem Wall?«
»Ein Tunnel, denk ich mal. Bis ganz zum ...« Anton unterbrach sich und blickte kurz über die Schulter. »Bis zum Park Pobedy.«
»Lebt dort wer?«
Der Schichtführer schüttelte nur unbestimmt den Kopf. Er schwieg eine Weile, dann fragte er: »Weißt du denn wirklich nichts über den Park Pobedy?« Ohne Artjoms Antwort abzuwarten, fuhr er fort: »Gott weiß, was jetzt noch davon übrig geblieben ist, aber früher war das eine riesige Doppelstation, eine von denen, die ganz zuletzt gebaut wurden. Die Älteren von uns sind dort sogar manchmal gewesen ... vorher. Jedenfalls erzählen sie, dass es eine großartige Station gewesen sein muss, und sie soll sehr tief gelegen sein, anders als die anderen neuen Stationen. Die Menschen dort sollen ein wunderbares Leben gehabt haben. Allerdings nicht lange. Bis die Tunnel einstürzten.«
»Wie ist das passiert?«
Anton warf seinen Kollegen einen Blick zu. »Bei uns sagt man, dass es von selbst passiert ist. Fehler bei der Planung, oder beim Bau wurde was geklaut, oder was weiß ich was. Aber das ist so lange her, dass es keiner mehr genau weiß.«
Einer der Wachposten ergriff leise das Wort. »Mir hat man erzählt, dass beide Abschnitte auf Befehl unserer Obrigkeit in die Luft gejagt wurden. Weil der Park Pobedy ein gefährlicher Konkurrent war, oder aus anderen Gründen. Du weißt ja, wer bei uns an der Kiewskaja damals das Sagen hatte: Leute, die nie etwas anderes getan hatten, als auf dem Markt Obst zu
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